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Texte zu Heinz Musculus
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Ad absurdum (►PDF)
Peter und seine Folgen (►PDF)
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Der letzte Dialog
„Puppi, ich bitte Dich, kaufe mir kein neues Jackett. In meinen alten Klamotten fühle ich mich am besten...
Schon in Wesenberg, als kleiner sechsjähriger Junge, führte ich mit meinen Eltern ‚Krieg’ gegen neue Sachen. Einmal mussten wir Tante Ursula besuchen, und ich bekam einen schönen weißen Matrosenanzug. Er und der Geburtstag der lieben Tante stimmten mich so traurig, dass ich nur einen rettenden Ausweg fand: Gerade war unsere Straße frisch mit Teer ausgebessert worden; ich wälzte mich in der lauwarmen Masse und blieb wie eine Statue vor unserem Haus stehen. Die Konsequenzen meiner Tat waren mir vollkommen klar, aber den weißen Anzug und den langweiligen Geburtstag war ich bestimmt endgültig los. Meine Eltern erschienen und starrten mich entsetzt an. Mein kleiner Po war wund von den Schlägen meines Vaters, und meine gute Mutter musste die Schmerzen mit Kamillenkompressen lindern. Aber mein Vater besuchte Tante Ursula allein. Für Verwandte hatte ich also nicht viel übrig.
Viel lieber spielte ich mit Tieren als mit Kindern. Eines Tages war ein kleines Rabenbaby aus dem Nest vor meinem Fenster gefallen. Ich fütterte und pflegte es gesund. Es schlief mit mir in meinem Bettchen und wurde bald erwachsen. Am Tage flog der Rabe zum Fenster hinaus, und jedesmal kehrte er abends zu mir zurück - immer mit einem kleinen glänzenden Geschenk: ein Stück Blech, ein Flaschenverschluss, eine Haarnadel und vieles mehr. Über sechs Monate waren wir die besten Freunde, aber dann musste ich ihn verlassen, weil unsere Familie 1923 nach Berlin zog. So erlebte ich die erste schmerzhafte Trennung.
In Berlin musste ich in die Schule. Meine Eltern fanden dort Arbeit, meine Mutter in einer großen Fabrik, und mein Vater verdiente sich die Mäuse am Abend als Klavierspieler in verschiedenen Cafés. Wie mein kleiner Rabe in Wesenberg wuchs ich heran, doch außer Zeichnen und Geschichte gefiel mir nichts in der Schule.
1935 stellte ich mich zur Aufnahmeprüfung der Hochschule der Künste. Das vorgedruckte Blatt eines Baumes konnte ich nicht zur Zufriedenheit der Professoren zeichnen, und man erklärte die Prüfung für ‚nicht bestanden’. Gut gelungene Portraits meiner beiden Omas und viele andere Zeichnungen beeindruckten die Herren Professoren offenbar nicht.
Ich ging zur Reichswerbeschule am Wittenbergplatz, die ich nach zweieinhalb Jahren mit Erfolg abschloss.
Dem Herrn Hitler und seinen Konsorten gelang es nicht, mich zu überzeugen, in die ‚Hitlerjugend‘ einzutreten. Dem grausamen Krieg aber konnte ich mich nicht entziehen. Da ich nur 1,66 m groß bin, hielt man mich zum Panzerfahrer geeignet. So musste ich 1939 beim Überfall auf Polen dabei sein.
Die Kopfschmerzen, die mich schon viele Jahre plagten, wurden im Krieg immer schlimmer. Einen Sinn im Töten und Zerstören konnte und wollte ich natürlich nicht erkennen. Ende September 1939 erreichten wir ein kleines polnisches Dorf. Es war wie ausgestorben. Plötzlich hörte ich ein Stöhnen, ein Jammern aus einem Haus. Eine alte Frau kniete vor einem Tisch, ihre Hände waren auf den Rücken gebunden und ihre Zunge am Tisch mit vier Nägeln angenagelt! Als ich sie davon befreit hatte, erzählte mir die Arme ganz erschöpft, dass die Polen, bevor sie das Dorf verließen, den Rest der deutschstämmigen Bevölkerung derart maltraitiert hatten. Nie werde ich diese Szene vergessen!
Wir mussten weiter mit unserem Panzer. Ein Knall... Wie aus einer Narkose schreckte ich auf. Ich lag in einem Graben; mein rechtes Bein konnte ich nicht heben. Erst im Lazarett erfuhr ich, dass drei Zehen stark verletzt, ihre Muskeln durchtrennt waren und ich nicht mehr ‚kriegstauglich‘ sei. Wohl aus Freude verließen mich auch meine langjährigen Kopfschmerzen.
Ein neues Leben fing für mich an bei der Besatzungstruppe in Dänemark. Drei wunderbare Jahre durfte ich dieses hübsche Land mit seinen schönen Mädchen und der guten Kost genießen.
1942 wurde ich in die Tschechoslowakei versetzt als Ordonnanz eines Generals. Wir befreundeten uns - er war ein wunderbarer, edler Mensch. Wir spielten Schach, ich zeichnete für ihn und beide waren wir froh, weit entfernt von der Kriegsqualen leben zu dürfen - und Feiern gab es auch eine Menge.“
„Du hast wirklich Glück im Unglück gehabt, Heinzchen“, sagte ich.
„Ja ja, die Feiern waren das Schönste! Wir wohnten 25 Kilometer von Prag entfernt, und zweimal in der Woche mussten wir in die Stadt fahren, hinauf zum Hradschin. Die Adligen sind in der ganzen Welt verwandt und verschwägert, fühlen sich am besten bei Tisch mit schönen Frauen und feinen Delikatessen.
‚Komm‘, rief mich der General, ‚wir müssen nach Prag; es wird wieder einmal ein großer Ball gegeben.‘ Ich nahm mein Motorrad, der General saß im Beiwagen, und wir fuhren, gut gelaunt wie immer, zum Hradschin. Mein guter General deponierte mich in der Küche. Die Köchin und die schönen Dienstmädchen verwöhnten mich rührend. Mit Entsetzen aber bemerkte ich, dass die Weinflaschen halbvoll von den Serviererinnen aus dem Speisesaal zurückgebracht wurden. Die feinen Herrschaften würden nur die erste Hälfte der Flaschen vertragen, die andere sei schon etwas vom Satz angegriffen. Diese Erklärung imponierte mir sehr. ‚Ich bin kein feiner Aristokrat‘, sagte ich mir, ‚gottlob, ich vertrage sicher den Satz des Weines.‘ und trank alle zurückkommenden Flaschen leer. Im Magen spürte ich danach keinerlei Unbehagen, jedoch drehte sich mein Kopf wie zu einem beschwingten Walzer von Johann Strauß.
Gegen Mitternacht mussten wir wieder in unser Quartier. Meinem General blieb nichts anderes übrig, als mich in den Beiwagen zu schleppen und selbst das Motorrad zu lenken. Das wiederholte sich öfters. ‚Komm' Heinz, wir müssen zum Hradschin. Hin fährst Du mich, und ich bringe Dich zurück.‘
Leider hat dieser anständige Mensch den Krieg nicht überlebt. Ich werde ihn nie vergessen.
Während eines Urlaubs in Berlin heiratete ich Trude, ein junges Mädchen.
Anfang 1945 befand ich mich in einer Höhle im Thüringer Wald. Plötzlich wurde ich aus meinem festen Schlaf geschreckt. Ein Uniformierter stand vor mir. Eingeschüchtert fragte ich: ‚Ruski?‘. ‚No, American.‘ ‚Oh, gut!‘, antwortete ich, und ließ mich gern in die Gefangenschaft führen. Ich arbeitete als Kurier für die Amerikaner bis Kriegsende.
In Berlin waren die Wohnungen ausgebombt. Ich begann, intensiv zu zeichnen. Meine ersten Auftraggeber waren die russischen Soldaten. Für sie musste ich sämtliche Familienfotos in Farbe malen. Der Erlös: Brot, Zucker, Fett und Wodka.
Bald erkrankte meine Mutter schwer, und wegen dem Mangel an Medikamenten musste sie Ende 1945 sterben. Ich liebte sie innig, es war ein großer Verlust für mich.
Trude, meine Frau, liebäugelte sehr mit den Gedanken an Nylonstümpfen, französischen Parfums und Autos. Sie fand einen Freund, der ihr diese Wünsche besser erfüllen konnte als ich. Wir ließen uns scheiden.
Als Pressezeichner und Karikaturist erschien ich dann in verschiedenen Berliner Zeitungen, und 1948 gründete ich zusammen mit anderen Kollegen den 'Verband bildender Künstler Deutschlands' in der Schlüterstraße.
Erneut heiratete ich, Hilde. Ich verdiente viele Mäuse und Hilde war davon sehr beeindruckt.
Meine Zeichnungen wurden immer gefragter. Ich arbeitete für Zeitschriften, Zeitungen, Illustrierte, Bücher, machte Zeichentrickfilme und trat als Schnellzeichner bei Fernsehsendungen im Friedrichstadtpalast auf.“
„Wie standst Du eigentlich zur Politik, Heinz?“, unterbrach ich ihn.
„Ja, meine ganze politische und philosophische Entwicklung ist natürlich von Krieg geprägt. Sie hat dazu geführt, dass ich nicht mehr an Gott glauben kann. All das Leiden und Elend, welches mir gleich zu Kriegsanfang bewusst wurde, haben mich zu einem überzeugten Atheisten gemacht. Auch kann ich die sogenannten 'Helden' und ihre Anbetung nicht begreifen. Napoleon ist genauso ein Verbrecher und Tyrann wie Hitler und Stalin gewesen. Die Kirche hat uns mit ihren Päpsten und Pfaffen in der Geschichte meist terrorisiert, Politiker versprechen und vertrösten genau wie der liebe Gott, aber beide halten ihre Versprechen nie. Die Menschen werden sich nicht ändern, sie sind zu böse, zu gierig nach Macht und Geld.“
„Das sind auch meine Ansichten, Heinz. Ich bin so froh, dass ich Dich gefunden habe. Seit meiner frühesten Jugend bin ich davon überzeugt, dass man die Menschen nicht ändern wird, weil man das Schlechte nicht wie einen Blinddarm herausoperieren kann.“
„Natürlich ist der menschliche Geist auch bewundernswert, meine Puppi, wo er sich äußert wie bei Genies wie Beethoven, Einstein, Goethe, Goya, Albert Schweitzer und vielen anderen. Aber leider sind wir der Masse ausgesetzt und ihren unwürdigen Anschauungen. Der Begriff ‚Freiheit‘ ist für mich das größte Gut, doch bin ich auch zu der Erkenntnis gelangt, dass wir eigentlich nie frei sein können. Wir kommen aus unserem Embryo nicht heraus, die Gesetze beengen und erdrücken uns. Dank meines Zeichentalentes bin ich in dieser Hinsicht einigermaßen freier und unabhängiger als andere. Keine Chefs, keine Bürostunden, keinen geplanten Urlaub.
Und was ich besonders hasse, sind die Feiertage wie Weihnachten und Ostern; da predigt man Menschenliebe, Vergebung, Versöhnung; für diese vier bis sechs Tage im Jahr - und in den restlichen dreihundertsechzig Tagen darf man wüten, betrügen und töten. Das alles ist und bleibt mir unverständlich.
Trotz allem suchte ich in meinem Idealismus nach Möglichkeiten. Der Marxismus erschien mir damals, nach dem Krieg, als der richtige Weg. Seine Verwirklichung gelang leider nicht, und ich zog mich auch von diesen politischen Anschauungen zurück. 'Ich müsste eine neue Partei gründen', dachte ich, da ich noch immer die Menschen, Tiere und Pflanzen liebte und für sie eintreten wollte.
Weil aber der Mensch der größte Feind aller Mitwesen ist und aus Raffgier alles auf diesem Planeten zerstört und vernichtet, wende ich mich den bedrohten Tieren und Pflanzen zu. Ihnen möchte ich noch helfen, wie die Menschen bei 'Greenpeace'. Als Botschafter hierfür habe ich immer solche Aussagen und Warnungen in meinen Zeichnungen dargestellt.“
„Welche Maler sind eigentlich Deine Vorbilder, Heinz?“
„Goya. Sein Werk ist für mich von größter Bedeutung, weil er die Tragik seiner Zeit so gut erkannt und dargestellt hat. Und dann natürlich auch den alten Zille, Dürer, von Gogh, Cezanne, Daumier, Degas, und ganz besonders Picasso, der nicht nur in seiner Jugend sein großes Talent bewies, sondern in späteren Jahren gute Menschenkenntnis. Nachdem seine wertvollen Gemälde überall geschätzt und verkauft wurden, begann er mit den Menschen sein Experiment. Er zeichnete unverständlich, simpel und komisch und hatte damit sogar noch größeren Erfolg als vorher. Seine Unterschrift genügte. So machte er sich über uns Menschen lustig.“
„Und was hältst Du von der zeitgenössischen Kunst, Heinzchen?“, fragte ich neugierig.
„Der größte Teil davon, ob Malerei, Architektur, Musik oder Literatur sind profan und ohne Aussage.“
„Je mehr Du mir über Dein Leben und Deine Lebensweisheiten erzählst, desto mehr liebe ich Dich, Heinz“, unterbrach ich ihn begeistert.
„Ich hoffe, Puppi, das wird auch immer so bleiben. Denn, wie ich Dir schon gesagt habe, Du bist meine erste Liebe und mein letztes Experiment. Meine zwei Ex-Frauen waren Enttäuschungen. Ich wurde krank, bekam Glaukom und durfte nicht mehr zeichnen. Und dann kamst Du wie ein rettender Engel, durch Deine Liebe und Geduld sind meine Augen wieder gesund geworden und ich durfte wieder zeichnen.
... Und was wir alles Schöne erlebt haben - die Reisen in Deine Heimat Rumänien zum Beispiel. Deine Freunde und Verwandte - noch nie wurde ich so herzlich aufgenommen. Ich werde unsere Bahnfahrt von Bukarest nach Braşov nie vergessen, die grünen Täler, die kleine rumänische Bäuerin in ihrer bunt gestickten Nationaltracht, auf dem Kopf einen geflochtenen Korb mit frischen Eiern, Käse und Butter. Sie ging so graziös den kleinen Fluss entlang! Es ist ein Bild, das ich in Berlin malen werde.
Und dann der junge Mann im Abteil, der sich die Hände wusch, aus seinem Rucksack eine Orange holte, sie in kleine Scheiben zerteilte und uns allen ein Stück anbot. Seine Geste hat mich um so mehr gerührt, als ich doch wusste, dass Orangen in Rumänien selten zu haben waren.
Und die Küsserei beim Kommen und Gehen... Erst hat es mich ein wenig gestört, aber dann hatte ich mich an die lieben Menschen gewöhnt und ließ es über mich ergehen...“
„...zumal Dir die feurigen, dunklen Frauen gut gefielen. So warst Du doch nicht abgeneigt, auch ein Küsschen von ihnen zu bekommen, nicht wahr, Heinz?“, sagte ich lachend.
„Auch freute ich mich auf unsere Heimreise von Bukarest nach Berlin. Diese lange Bahnfahrt, 32 Stunden, konnte ich richtig genießen. Fliegen in zwei Stunden müssen nur die Businessmänner, und so einer bin ich nicht. Ich bin frei, habe Zeit, mir die Welt gründlich zu betrachten und habe dazu noch Dich, mein Engel! Ist das alles nicht das größte Geschenk, das sich ein Mensch wünschen kann?“
„Doch, lieber Heinz“, entgegnete ich. „Apropos Geschenk: Du musst nicht immer so freizügig sein. Es ist schön, Deinen Kollegen oder einem anderen Menschen in Not zu helfen - dafür bin ich persönlich sehr - aber viele nutzen Deine Großzügigkeit aus. Du borgst auch denen Geld, die es nicht nötig haben, und bekommst es nicht immer zurück.“
„Recht hast Du, meine Puppi, aber sich zu ändern ist doch so schwer. Niemand konnte mich verstehen, als ich vor Jahren einen 'Wartburg' von meinem Onkel - er war Dozent auf der Humboldt-Universität - als Geburtstagsgeschenk bekommen hatte und das Auto schon am nächsten Tag meinem Kameramann weiterschenkte. Das Geld hat in meinem Leben keinen Wert gehabt, obwohl ich durch meine Arbeit sehr gut verdient habe.“
„Andererseits bist Du aber ein richtiger Schelm, übermütig wie ein kleiner Junge. Ich muss noch heute lachen, Heinz, über Deine Späße mit den Nachbarn.“
„Nein, nein, ein Kind von Traurigkeit war und bin ich nie gewesen. Du meinst sicher, wie gern und oft ich den Fahrstuhl abgestellt hatte, wenn die Herren Genossen gegen fünf Uhr von der Arbeit nach Hause kamen. Ich hatte die Schlüssel von den Fahrstuhlfritzen, mit denen ich Freund war, und amüsierte mich ganz köstlich, wenn ich von meiner Treppenhausbalustrade ganz oben im siebenten Stock die Herren schnaufend treppauf steigen sah, Sie waren mir eben unsympathisch und ich hatte meinen Spaß. Bis heute weiß niemand, dass ich der Missetäter war. Sie wunderten sich nur, die Trottel, dass immer gegen fünf Uhr der Fahrstuhl nicht funktionierte.
Und dann die Sache mit unserem Flurspiegel! Vier Etagen unter uns wohnte ein guter Nachbar, Willi, der gern und oft in seiner Wohnung bohrte und hämmerte. Als nun eines Tages bei uns in der siebenten Etage durch ein Missgeschick von uns unser Flurspiegel auf den Fußboden gefallen war, erklärte ich dem guten Willi, dass das nur wegen seiner täglichen Hämmereien passiert sei und dass er noch Glück gehabt hätte, dass der große Kristallspiegel nicht zerbrochen war. Willi erschrak und befestigte den Spiegel fachmännisch mit einem besonderen Haken, nachdem er sich sehr bei uns entschuldigt hatte.
Erinnerst Du Dich, als wir vor Jahren tapezieren ließen und das schöne Aktgemälde nicht mehr fanden? Wie verwundert, dann aber zustimmend hast Du, Puppi, meine Denkart akzeptiert.“
„Das weiß ich genau, Heinz. Du meintest voller Stolz, wie schön es doch ist, dass gerade ein Tapezierer Interesse und Gefallen an Deinem Gemälde fand. Ein Mensch, der nicht in der Lage war, sich weiterzubilden - und doch ein Schöngeist. Dieser Verlust, meintest Du, ist für uns eine Bestätigung; er hat es geklaut und wird es sicher in seiner sehr gut tapezierten Wohnung aufhängen... Und dann unsere Enttäuschung, als wir nach zwei Wochen aufräumten und das Gemälde hinter einem Karton fanden.“
„Ja, das waren Zeiten. Weißt Du, Puppe, hier in West-Berlin erlaube ich mir noch nicht solche Späße, ich fühle mich doch noch ein wenig fremd.“
„Das kommt noch Heinz, wir sind ja erst ein Jahr hier. Aber jetzt musst Du fleißig für Deine Ausstellung am 26. Mai [1976] arbeiten.“
„Sag’ mir bitte, Puppi, bereust Du nicht meinen plötzlichen Wunsch - damals vor einem Jahr, als wir in West-Berlin beim Aschinger saßen - sofort hierzubleiben, weil ich die Wartezeit für unsere offizielle Umsiedlung nicht mehr ertragen konnte? Dieser Schwebezustand hatte meine Nerven strapaziert, und noch einen Monat lang auf die Ausreisepapiere zu warten, war mir einfach zuviel.“
„Natürlich, Heinz, ich hatte zuerst an Deine Zeichnungen und Gemälde gedacht, die wir dann nicht mehr herüberbringen könnten, und auch, dass wir Geld auf unserem Konto zurückließen. Aber Du versprachst mir, dass Du hier voller Elan viele neue schöne Bilder malen würdest und meintest, die Ost-Mäuse auf der Bank seien ohnehin wertlos.“
„Ich staune, Puppi, dass Du mir meine verrücktesten Wünsche immer ohne Widerspruch erfüllt hast. Als ich Dich zum ersten Mal sah, fiel mir Dein energisches Kinn auf. ‘Ei, ei,’, dachte ich, ‘sie ist eine selbstbewusste und energische Frau.’ Seit zehn Jahren aber weiß ich, dass Dein Kinn nur eine Parodie der Natur ist. Du bist sanft und gutmütig wie kaum jemand.“
„Das kommt vielleicht daher, dass ich vielleicht auch etwas künstlerisch veranlagt bin und mich immer für originelle Ideen und Menschen begeistere. So einer bist Du, und ich habe Dich entdeckt.“
„Noch was, mein Engel: Wenn ich einmal eine Abpfeife mache, trage bitte nicht Schwarz. Ich liebe die Farbe nicht, und sie steht Dir nicht gut. Bete, dass ich nicht in den Himmel gelange. Ich glaube, mit dem Teufel in der Hölle komme ich besser aus als mit all' den vielen Engelein. Auch mein Grab brauchst Du nicht zu besuchen. Du warst in meinem Leben die Beste. Behalte meine Zeichnungen und vergiss mich nicht.“
„So ein Gedanke, Heinz. Wie kannst Du an solche makabren Dinge denken, jetzt, vor Deiner Ausstellung? Es geht Dir gesundheitlich gut, und wer von uns zuerst eine Abpfeife macht, das wissen nur die Götter.“
Am 26. Mai 1976 um 23:00 Uhr, nach der erfolgreichen Ausstellung, fragte mich Heinz im Wagen auf der Fahrt von Frohnau in die Stadt: „Warst Du mit mir zufrieden. Puppi?“ Dann fiel sein lebloser Kopf auf meine Schulter. Eine Lungenembolie. Heinz wurde auf dem Friedhof in Frohnau mit den Klängen seiner Lieblingsmusik, der 5. Sinfonie von Beethoven, beigesetzt.
Ich blieb allein. Meine Tränen verwandelten sich in Worte. Am nächsten Tag begann ich, über mein Leben mit ihm zu schreiben.
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