Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Episode aus dem Roman „Genunea. Czerno­witz liegt nicht nur in der Buko­wina“

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Erholt und um viele Eindrücke reicher kehrten Nuni und Willy nach Cosel zurück. Der Alltag schlich sich mit seinen banalen Schulsorgen, Nervenexplosionen, Sondermeldungen und verschiedenen Propagandalügen wieder in das Leben der beiden ein. So teilte man Nuni eines Tages brieflich mit, dass ihrer Einbürgerung nichts mehr im Wege stehe, Sie sei einer reichsdeutschen Frau ebenbürtig, und ihre fünfzigprozentige rumänische Abstammung sei durch ihr Verhalten und ihre Lebensweise verdeutscht worden. Der Bürgermeister lud sie ein, um ihr die Einbürgerungsurkunde zu überreichen. Erstaunt las sie das Verdikt und dachte an seine mögliche Folgen - Willys Einberufung in den Krieg. wie nur konnte sie ihn davor bewahren, retten und am Leben erhalten? Eine geniale Idee begleitete sie auf dem Weg ins Rathaus. Stolz ließ sie sich im Büro des Bürgermeisters in einem Fauteuille nieder, als er sie empfing und den Willkommensgruß aussprach. Nuni begann aber. „Danke für die außergewöhnliche Ehre, die mir das Dritte Reich zuteil werden lassen möchte.“ Sie bedaure aber, dass sie diese nicht annehmen könne. „Meine rumänischen Gefühle übertreffen die deutschen. Das wurde mir hier in den zwei Jahren klar.“ Der Herr Bürgermeister erblasste. Im ernsten Tonfall antwortete er. „Es tut mir sehr leid, Frau Niefer, aber Sie müssen sich entscheiden: Hier bleiben und deutsche Staatsbürgerin werden oder in ihre alte Heimat zurückkehren.“ „Ich werde über diese neue Situation mit meinem Mann sprechen und Ihnen Bescheid geben.“ „Aber bitte bald“, fügte der Bürgermeister noch hinzu. Als Nunica seinerzeit Rumänien verlassen hatte, hatte sie auch ihre rumänische Staatsangehörigkeit abgelegt. Dadurch entstanden neue Probleme. Würde Rumänien sie mit ihrem Willy als reumütige Doppelumsiedler aufnehmen? Nunica war sich darüber im klaren, dass sie selbst nun sofort nach Czerno­witz fahren müsse, um sich an Ort und Stelle darüber zu informieren, denn brieflich konnte man diese prekären Fragen nicht erledigen. So ging sie zur Polizei und bat um ein Visum. „Ein Visum? Worauf?“, fragte sie der Polizeibeamte, „Sie besitzen keinen Pass, sind weder rumänische noch deutsche Staatsbürgerin.“ Einige Wochen später entschloss sich Nunica nach Oppeln zur Gestapo zu fahren. Sie kannte wohl ihre drakonischen Gesetze, vor denen sie jedoch nicht zurückschreckte und ersuchte direkt um einen Termin direkt beim Chef dieser Institution. Der Weg zu ihm erschien Nuni lang und verzwickt. In Begleitung einer uniformierten Gestalt stieg sie einige Treppen hinunter in einen vernebelten Flur. Über unzählige labyrinthische Ecken gelangen beide zu einem Fahrstuhl, der sie in die zweite Etage brachte und vor vielen geschlossenen Türen stehenließ. Nach einigen weiteren Zickzack-Wegen erreichten sie endlich die ledergepolsterte Doppeltür des Gestapo-Leiters. Von der Helligkeit des Zimmers geblendet, konnte Nunica nur schwer den kleinen, runden Mann wahrnehmen, der bei ihrem Erscheinen von seinem Bürosessel aufstand. Seine leuchtende Glatze und sein dickes, gutrasiertes Gesicht mit Doppelkinn spiegelten sich in der blanken Glastischplatte seines Büros, sodass Nuni den Eindruck gewann, vor einem Gestapochef mit zwei Köpfen zu stehen. So fand sie nur mit einiger Mühe seine Hand zur Begrüßung. „Höflichst ersuche ich Sie um ein Visum nach Rumänien, obwohl ich keinen Pass besitze. Meine Eltern schenken mir ein Haus, und ich muss dafür eine Urkunde selbst unterschreiben. Der kleine Mann - und große Chef - hörte aufmerksam zu und schmunzelte. Endlich konnte Nuni ihn auch besser erkennen. Er war kein machiavellischer Typ, wie sie befürchtet hatte, sondern glich eher einem in Sonne gehüllten Epikureer, der sich mehr den lukullischen Genüssen hinzugeben schien. Er lächelte sie an. „Und Sie haben keinen Pass? Was mache ich bloß mit Ihnen? Ein Haus zu verlieren, wäre ja jammerschade.“ „Herr Gestapoführer“, intervenierte Nuni, „es wird doch sicher ein Möglichkeit geben. Sie müssen sie suchen. Ein so bedeutender Mann wie Sie wird auch sicher eine finden. Aus Czernowitz bringe ich Ihnen dann, was Sie möchten - Cognac, Speck, Kaviar, Schokolade.“ „Das interessiert mich nicht so sehr, das alles habe ich schon. Worauf ich aber wirklich Appetit hätte, sind Ananaserdbeeren. Gibt es die bei Ihnen?“ „Aber ja, viele, sehr viele!“, rief Nuni begeistert, „Czernowitz ist eine ausgesprochene Ananaserdbeerenstadt!“, und sah, wie sein Gesicht sich in den Sonnenstrahlen vor Freude ins ananaserdbeerenrötliche färbte. „Um diese Jahreszeit schon?“, fragte der Chef. „Aber natürlich. Rumänien liegt auf dem gleichen Breitengrad wie Italien!“, überzeugte Nunica ihn, da ihr seine geographischen Kenntnisse recht mangelhaft erschienen. „Eine Kiste voller Ananaserdbeeren wird Ihr Büro bald dekorieren und Ihrem Gaumen munden!“ Dabei machte Nuni sich Sorgen, wie man denn diesen originellen Wunsch tatsächlich erfüllen könnte, da im Mai in Czernowitz keine Erdbeeren existierten. „Ich habe eine Möglichkeit gefunden“, sagte der Gestapo-Chef, „ich geben Ihnen einen Passierschein bis zur deutsch-rumänischen Grenze. Ihren Eltern wird es sicher möglich sein, Sie von dort nach Czernowitz zu bringen.“ Mit flatterndem Herzen kehrte Nunica nach Cosel zurück und eilte in Willys Schule, um ihm ihre Errungenschaft mitzuteilen.

Schon nach zwei Tagen trat sie die Reise an. Willy blieb allein mit seinen Gedanken und Befürchtungen. Obwohl ihm Nuni nie sein unglückliches Wesen vorgeworfen und ihn stets verstanden und liebevoll umsorgt hatte, spürte er, dass diese Ehe einmal auseinandergehen könnte, auseinandergehen müsste.

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