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Der Krieg wütete, und Weihnachten stand vor der Lagertür. Voller Mitgefühl versprach Nunis Pfefferkuchentante den beiden eine große Tüte mit Pfefferkuchen! Pfefferkuchen mit echter Schokolade überzogen. Dieser Gedanke machte sie verrückt vor Glück – echte Schokolade! Sie nahm sich vor, alle Pfefferkuchen abzulecken, um sich dabei in erster Linie dem Zungen- und Gaumengenuss hinzugeben. Aber, wie es im Leben so ist, kommt eine Freude nie allein. Wenige Tage vor Weihnachten, als Nuni und Willy frühmorgens Kaffee und Marmeladenbrot genossen hatten, ertönte die Stimme des Lagerführers. „Alle Lehrer möchten sich nach dem Frühstück im Bürozimmer melden!“ Außer Willy war nur noch einer im Lager, polnischer Abstammung. Die anderen kämpften bereits „Für Führer, Volk und Vaterland“.
Zwei Schulinspektoren waren vom Ministerium delegiert worden, sich die Lehrer zu angeln, die in den Schulen immer mehr fehlten. Strahlend berichtete Willy seiner Nunica, dass er ab sofort nach Patschkau (Schlesien) an eine Oberschule berufen wurde. „Wann fahren wir hin?“, fragte Nuni hoffnungsfroh.
„Ich packe sofort den Koffer. Du musst noch eine kurze Weile hierbleiben, bis ich eine Wohnmöglichkeit für uns beide gefunden habe“, entgegnete Willy deprimiert. „Wieso denn? Wo Du wohnst, kann ich doch auch sein. Allein zu bleiben, hier, ohne Dich, siehst Du nicht ein, wie schrecklich das für mich sein würde?“ „Doch“, antwortete Willy, „aber es gibt momentan leider keine andere Lösung. Ich werde vorübergehend in einem Mönchskloster wohnen, und Frauen dürfen es nicht betreten. Aber zum Wochenende bin ich wieder bei Dir, vielleicht finde ich bis dahin auch eine andere Unterkunft“, tröstete er Nunica. Diese menschenunwürdigen Ge- und Verbote schienen Nuni absurd, doch trotzdem fügte sie sich ihnen. Die sechs Tage ohne Willy wurden für Nuni zur Kalamität, und dann kehrte Willy ohne positives Resultat ins Lager zurück. So beschloss sie, nach Weihnachten mit ihm nach Patschkau zu fahren, um allein eine Unterkunftsmöglichkeit zu ergattern.
Dort angekommen, sprach sie mit dem Schuldirektor und trug ihm ihre so prekäre Situation vor. Er verstand sie vollkommen. Es sei Krieg, leere Wohnungen gebe es nicht. Das einzige Hotel in der Stadt sei vollkommen ausgebucht und möblierte Zimmer wolle man nicht vermieten. Ratlos stand sie vor ihm, und der Gedanke, abends allein nach Wartha zurückzufahren, versetzte sie in große Traurigkeit.
Zum Mittag suchten Nuni und Willy ein Restaurant auf. Das einzige markenfreie Essen bestand aus Blutwurst mit Graupen, Kartoffeln und Sauerkraut. Nuni schmeckte dies ausgezeichnet, sie aß gleich zwei Portionen. Über diesen Appetit konnte sich Willy nur wundern. Das so verwöhnte Mädchen kam ihm mit ihrem außergewöhnlichen Geschmack doch reichlich merkwürdig vor. Nachmittags gingen beide spazieren, und Nuni bewunderte die kleine, saubere Stadt mit der alten Verteidigungsmauer.
Solch eine Stadtmauer sah sie zum ersten Mal in ihrem Leben, und Willy erklärte ihr die politische Bedeutung des mittelalterlichen Bauwerks. Es begann zu schneien. Die Sonne ging unter, und weil noch genügend Zeit blieb bis zu Nunis Abfahrt, gingen beide in ein Kino, um ein wenig Ablenkung von ihren drückenden Problemen zu finden. Hand in Hand saßen beide wegen Nunis Kurzsichtigkeit in der zweiten Reihe und wurden von niemandem gestört. Von dort hörte man ihre Küsse nicht, und Nunis peinliche Lachkrämpfe waren wohl im Lager zurückgeblieben. Nein, sich nach einem so schönen Tag von ihrem Willy zu trennen, schien ihr genauso absurd wie das Verbot, als Frau nicht das Mönchskloster betreten zu dürfen. Sie ist doch kein Satan... oder vielleicht doch?
Denn plötzlich kam ihr ein diabolischer Gedanke: im Dunklen ins Kloster zu schleichen, über die hintere Holztreppe vorsichtig auf Fuß spitzen in Willys Manvsarde zu steigen und morgens, wenn die Mönche andachtsvoll ihr Gebet verrichten, auf Fußspitzen ihr Sanctoir wieder zu verlassen. Um dieses Sakrileg durchführen zu können, erkundigte sie sich bei Willy, ob sich vielleicht ein „Zerberus“ an der Klosterpforte befände. Nunis Entschluss versetzte Willy in Ängste. Er kannte aber ihr Temperament und ergab sich diesem. „Der Klostereingang ist nicht bewacht“, flüsterte er ihr zu. Lachend und euphorisch siegte sie auch diesmal – ihr Plan wurde erfolgreich durchgeführt. Kein einziger heiliger Bruder hatte sie dabei ertappt. Davon ermutigt, schmiedete sie an einem neuen „Attentat“: Sie flanierte in der Kälte schon morgens allein auf den Straßen von Patschkau und betrachtete sich die Häuser, dachte an die Wärme in ihnen und an die Herzenswärme der Bewohner. Gäbe es wirklich nicht einen Menschen, der ihr helfen, der ihr ein Zimmer abtreten könnte?.
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