Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Episode aus dem Roman „Genunea. Czerno­witz liegt nicht nur in der Buko­wina“

Die Einbürgerungskommission

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Ende November 1940 erschien die lang­erwartete Ein­bürgerungs­kommission. Viele graue Autos mit noch mehr grauen Uniform­menschen fanden sich ein. Die Kommis­sion bestand aus SS-Beamten, SS-„Rassen­spezialisten“, und SS-„Ärzten“. Ihr Erscheinen bewirkte Auf­ruhr im Lager.

Die „arische Rasse“ galt als höchstes Gebot, und Nunis Papiere konnten ihre „Rassen­reinheit“ bis drei Generationen zurück beweisen. Die SS-„Experten“ fingen gleich mit ihrer Arbeit an. Alpha­betisch vollzog sich das Aufrufen der „Volks­deutschen“. Jeder Einzelne unterlag einer genauen Prü­fung und Überprüfung. Die Reihe kam auch an Nunica, die diesmal ohne Hem­mun­gen und Sorgen ins Büro eintrat.

Vor ihr saßen sechs junge SS-Männer an einem langen Tisch, und als Nunica erschien, starrten sie alle an. Die ersten beiden sortierten, kontrollierten und über­prüften ihre Papiere. Sie stellten viele Fragen, und man staunte über das Völker­gemisch ihrer Eltern, Groß- und Urgroßeltern. Dann bat man sie, sich völlig nackt auszuziehen, um, wie es hieß, ihren Körper fachgemäß zu studieren. Sie fügte sich dem, wunderte sich aber über ein so wunder­liches Ver­fahren. Zwei andere SS-Männer näherten sich ihr mit einem Zentimeter­maß, mit dem sie die Länge der Beine, des Rumpfes, der Arme, die Breite ihres Beckens und ihren Hüft- und Brust­umfang fest­stellten. An­schei­nend fanden sie bei Nunica die erwünsch­ten Resul­tate; sie nickten zufrieden und trugen die erkundeten Daten in ihre Listen ein.

Der Haken aber lag am Kopf: er entsprach nicht jenem sehr schmalen „nordischen“, und so wurde die Liste mit „rundes, breites Gesicht, Augen­farbe braun, starker slawischer Einfluss“ ergänzt. Man ließ Nuni sich wieder anziehen, und die letzten beiden Uni­formier­ten, „Ärzte“, nahmen ihr aus dem Ohrläppchen einen Tropfen Blut ab, um hiernach „ihre Rasse genau zu bestimmen“ – so erklärten es die Herren jedenfalls der er­staunten Nunica. Nach dieser Lager-Striptease-Show wurde Willy in die Mangel ge­nommen. Sein Aus­sehen be­friedig­te die Betrachter – alles war im deutschen Norm­bereich – blondes Haar, blaue Augen, deutscher Name, der Körperbau groß und schlank. Nur mit den Backen­zähnen haperte es; sechs davon fehlten ihm.

Nach einer Woche erhielten Nunica und Willy das Einbürgerungsresultat; sie wurden vor ein „Gericht“ gebeten, man bot ihnen sogar einen Sessel an und der Kommissions­vorsitzende fing mit seiner Rede an: „Leider können wir Sie nicht einbürgern. Ihre Frau gehört nicht zum germa­nischen Rasse­typ. Bei solchen Misch­ehen müssen wir noch eine Weile warten. Wir müssen uns erst von ihrer Zugehörigkeit und ihrem National­bewusst­sein vollends über­zeugen. Aus Ihren Urkunden und der Blutprobe ist ein starkes Rassen­gemisch ersicht­lich: mütter­liche­rseits ist Ihre Frau deutsch-öster­reichisch, väter­licher­seits rumä­nisch-grie­chisch, und ihr Aus­sehen ist slawisch. Machen Sie sich aber keine Sorgen, Ihrer Karriere als Lehrer steht sonst nichts im Wege“, meinte der „Richter“, zu Willy gewandt.

Mit Tränen und sehr gemischten Gefühlen verließen die „Melange-Nuni“ und Willy den Einbürgerungssaal. Ihre Traurig­keit war aber nicht auf etwaige patrio­tische Em­pfin­dungen für das Deutsche Reich zurück­zu­füh­ren – Nuni be­drück­te vielmehr die Sorge und Ent­täu­schung, die sie Willy be­reitete. Sie fühlte sich eher deutsch als rumä­nisch oder griechisch – im Hause Dimi­trovici gab es keinen Natio­na­lis­mus; man ver­suchte, die Völker un­vorein­genommen nach dem Grad ihrer Kultur und Zivi­li­sa­tion einzu­schät­zen. Doch war das deut­sche Volk für sie das Vorbild eines großen geistigen Erbes, und Nuni geriet in Bewunderung beim Lesen seiner Lite­ra­tur und Philo­sophie, beim Lau­schen seiner Musik und schließ­lich beim Be­trachten seiner tech­nischern Er­rungen­schaften.

Unge­fähr 900 „Volks­deutsche“ wurden zu ihrem Stolz in das Deutsche Reich eingebürgert. Sie wedelten mit erhobenen Armen ihre Urkunden vor den ver­bliebenen „Misch­lingen“ und zeigten sich ihnen gegenüber sehr arrogant. Diese Situation deprimierte Willy, wenn­gleich er vor Nuni so tat, als ob ihn das alles kaltließ. Er war mit vollkommen anderen Vorstellungen ins Deutsche Reich gekommen und musste nun sein Fiasko erleben. In Ihrer Ver­zweif­lung schlug Nuni ihm die Scheidung vor, weil sie ihm kein Hindernis sein wollte. Dazu hatte sie ihn zu lieb, und so weinte sie oft, still und heimlich, auf einem geheimen Örtchen. Von Scheidung aber wollte Willy nichts hören, und er versicherte ihr eindringlich, dass seine Liebe zu ihr größer sei als seine Liebe zu seinem „Führer“. So begann für beide eine noch schwerere Zeit.

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