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Am nächsten Tag fuhr das glückliche Paar mit einem Koffer und den zwei Bänden „Mein Kampf“ (die nie gelesen wurden) mit Zuversicht ins „Dritte Reich“, in einem Sonderzug für Umsiedler, der nur Wagen zweiter Klasse mit Holzbänken führte.
Für die jungen, meist hoffnungsvollen Menschen war die lange Reise nicht so sehr anstrengend. Hitlers Triumphe und seine propagandistischen Versprechungen versetzten die „Volksdeutschen“, und so auch Willy, in blinde Euphorie, die sie in Nazis verwandelte und die sie ihren „Führer“ vergöttern ließ. Diese Dinge berührten Nuni hingegen nicht. Sie hatte nur einen Gedanken: Willy glücklich zu machen.
Endlich erreichte der Zug mit seinen Heimkehrern deutschen Boden. Wahrscheinlich verspürten auch damals viele Insassen, wie zum Beispiel der polnische Papst bei seinen Auslandsreisen, den Wunsch, den Boden des ersehnten Zieles zu küssen. Doch die begrenzte Zeit an der deutschen Grenze verwehrte ihnen diese Offenbarung. Mit ausgestreckten Armen reichten junge deutsche Rote-Kreuz-Schwestern ihren „Brüdern“ in einer Kartonschachtel dickklumpige Graupensuppe, dazu „Blümchenkaffee“ ohne Milch und ihren herzlichen Willkommensgruß. Alle Heimkehrer rümpften die Nase und spuckten beim Kosten dieses „Gerichts“, wohin sie nur trafen. Man hörte sie sagen: „Das essen bei uns nicht einmal die Schweine! Na, wir werden ja sehen, was uns noch blüht!“
Die Fahrt ging weiter nach Schlesien ins Städtchen Laurahütte, wo sich ein Übergangslager befand.
Hier vollzog sich die Entlausung. Ferner wurden die Betroffenen von ihren Haaren „befreit“, mit der Anti-Läuse-Lotion „Kuprex“ eingeschmiert und mit einer Gummimütze auf dem Kopf ausgerüstet – eine sehr peinliche Angelegenheit für viele. Die Vollendung dieser Hygieneprozedur krönte der Aufruf des Lagerleiters zur Versammlung im Speiseraum. Hier hielt er eine emotionale Willkommensrede und wies dann gleich auf die Pflichten, die „ehrenvollen Pflichten“ eines jeden Bürgers hin, der „das Glück“ besessen hatte, in „Führers Reich heimzukehren“. Ebenso „ehrenvoll“ begab man sich dann nach der langen Rede zur Ruhe.
Das Lager bestand aus vier Sälen, die als Schlafstätten für die 160 Umsiedler zurechtgemacht worden waren. In jedem dieser Säle lagen auf dem Boden vierzig Strohmatratzen, vierzig graue Decken und vierzig kleine Strohkissen. Am Flur befand sich ein Waschbecken, und hinten im Hof standen den „Heimkehrern“ zwei Toiletten zur Verfügung. Eine einsichtsvolle Lagerfunktionärin verkündete kurz vor dem Schlafengehen in jedem Saal: „Liebe Volksgenossen! Auf dem Korridor vor jeder Schlafstätte befindet sich ein Eimer für die Frauen, die nachts austreten müssen. Die Männer können die Toiletten auf dem Hof aufsuchen. So wünsche ich Ihnen allen eine gute Nacht in Ihrer neuen Heimat!“
Nuni fühlte sich glücklich, dass man sie nicht von ihrem Mann getrennt hatte, und so lag an ihrer rechten Seite Willy, an ihrer Linken schnarchte ein junger Schlosser aus Braşov. Sie schlief gut – bis um sieben Uhr früh, als sie durch zänkische Frauenstimmen geweckt wurde. Es handelte sich darum, den vollen Eimer zur Toilette zu tragen. Die Frauen weigerten sich, sie schämten sich, keine wollte zugeben, dass sie ihn in der Nacht benutzt hatte. Der Streit wurde immer lauter, die Aggressivität der zukünftigen deutschen Reichsbürgerinnen führte zum Tumult. Aus einer Ecke schrie eine fast hysterische Frau: „Es ist keine Schande, ein natürliches und menschliches Bedürfnis! Ich bringe den Nachttopf aber nicht hinaus, ich habe die ganze Nacht fest geschlafen! Der Topf ist randvoll, und wenn Ihr ein Gewissen besitzt, ein deutsches Gewissen, so müsst Ihr ihn auch entleeren. Schließlich sind wir hier im Dritten Reich alle gleich!“ Eine andere empörte Frauenstimme ergänzte: „Bitte beruhigt Euch doch, verwechselt nicht Deutschland mit Nachttopf, denn Deutschland ist Deutschland und Nachttopf ist Nachttopf.“
Beeindruckt von dieser „Philosophie“ stand Nunis linker Schlafpartner auf, ging wortlos zur Tür, warf den Frauen einen ernsten Blick zu, nahm den Eimer und verschwand.
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