Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Episode aus dem Roman „Genunea. Czerno­witz liegt nicht nur in der Buko­wina“

„Heim ins Reich“. Laurahütte

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Am nächsten Tag fuhr das glück­liche Paar mit einem Koffer und den zwei Bänden „Mein Kampf“ (die nie gelesen wurden) mit Zuversicht ins „Dritte Reich“, in einem Sonder­zug für Umsiedler, der nur Wagen zweiter Klasse mit Holzbänken führte.

Für die jungen, meist hoffnungs­vollen Menschen war die lange Reise nicht so sehr anstrengend. Hitlers Triumphe und seine propa­gan­disti­schen Ver­sprech­ungen versetzten die „Volks­deutschen“, und so auch Willy, in blinde Euphorie, die sie in Nazis ver­wandelte und die sie ihren „Führer“ vergöttern ließ. Diese Dinge be­rührten Nuni hingegen nicht. Sie hatte nur einen Gedanken: Willy glücklich zu machen.

Endlich erreichte der Zug mit seinen Heim­kehrern deutschen Boden. Wahrscheinlich verspürten auch damals viele Insassen, wie zum Beispiel der polnische Papst bei seinen Auslands­reisen, den Wunsch, den Boden des ersehnten Zieles zu küssen. Doch die begrenzte Zeit an der deutschen Grenze verwehrte ihnen diese Offenbarung. Mit aus­ge­streckten Armen reichten junge deutsche Rote-Kreuz-Schwestern ihren „Brüdern“ in einer Karton­schachtel dickklumpige Graupen­suppe, dazu „Blümchenkaffee“ ohne Milch und ihren herz­lichen Will­kommens­gruß. Alle Heim­kehrer rümpften die Nase und spuckten beim Kosten dieses „Gerichts“, wohin sie nur trafen. Man hörte sie sagen: „Das essen bei uns nicht einmal die Schweine! Na, wir werden ja sehen, was uns noch blüht!“

Die Fahrt ging weiter nach Schlesien ins Städtchen Laura­hütte, wo sich ein Übergangs­lager befand.

Hier vollzog sich die Ent­lausung. Ferner wurden die Betroffenen von ihren Haaren „befreit“, mit der Anti-Läuse-Lotion „Kuprex“ eingeschmiert und mit einer Gummimütze auf dem Kopf ausgerüstet – eine sehr peinliche An­ge­legen­heit für viele. Die Voll­endung dieser Hygiene­prozedur krönte der Aufruf des Lager­leiters zur Ver­samm­lung im Speise­raum. Hier hielt er eine emotionale Willkommens­rede und wies dann gleich auf die Pflichten, die „ehren­vollen Pflichten“ eines jeden Bürgers hin, der „das Glück“ besessen hatte, in „Führers Reich heimzukehren“. Ebenso „ehren­voll“ begab man sich dann nach der langen Rede zur Ruhe.

Das Lager bestand aus vier Sälen, die als Schlaf­stätten für die 160 Umsiedler zurechtgemacht worden waren. In jedem dieser Säle lagen auf dem Boden vierzig Stroh­matratzen, vierzig graue Decken und vierzig kleine Stroh­kissen. Am Flur befand sich ein Wasch­becken, und hinten im Hof standen den „Heim­kehrern“ zwei Toiletten zur Ver­fügung. Eine einsichts­volle Lager­funktionärin verkündete kurz vor dem Schlafen­gehen in jedem Saal: „Liebe Volks­genossen! Auf dem Korridor vor jeder Schlaf­stätte befindet sich ein Eimer für die Frauen, die nachts austreten müssen. Die Männer können die Toiletten auf dem Hof auf­suchen. So wünsche ich Ihnen allen eine gute Nacht in Ihrer neuen Heimat!“

Nuni fühlte sich glücklich, dass man sie nicht von ihrem Mann getrennt hatte, und so lag an ihrer rechten Seite Willy, an ihrer Linken schnarch­te ein junger Schlosser aus Braşov. Sie schlief gut – bis um sieben Uhr früh, als sie durch zänkische Frauen­stimmen geweckt wurde. Es handelte sich darum, den vollen Eimer zur Toilette zu tragen. Die Frauen weigerten sich, sie schämten sich, keine wollte zugeben, dass sie ihn in der Nacht benutzt hatte. Der Streit wurde immer lauter, die Aggres­sivi­tät der zu­künftigen deutschen Reichs­bürgerinnen führte zum Tumult. Aus einer Ecke schrie eine fast hysterische Frau: „Es ist keine Schan­de, ein natür­liches und mensch­liches Be­dürfnis! Ich bringe den Nacht­topf aber nicht hinaus, ich habe die ganze Nacht fest ge­schlafen! Der Topf ist rand­voll, und wenn Ihr ein Ge­wissen besitzt, ein deut­sches Ge­wissen, so müsst Ihr ihn auch ent­leeren. Schließ­lich sind wir hier im Dritten Reich alle gleich!“ Eine andere empörte Frauen­stimme ergänzte: „Bitte be­ruhigt Euch doch, ver­wechselt nicht Deut­schland mit Nacht­topf, denn Deut­schland ist Deut­schland und Nacht­topf ist Nacht­topf.“

Be­eindruckt von dieser „Philo­sophie“ stand Nunis linker Schlaf­partner auf, ging wortlos zur Tür, warf den Frauen einen ernsten Blick zu, nahm den Eimer und ver­schwand.

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