Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Episode aus dem Roman „Genunea. Czerno­witz liegt nicht nur in der Buko­wina“

Heirat mit Willy

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Nach ungefähr zwei Wochen konnte Nuni glück­lich in Willys Arme laufen. Er hatte Nuni zunächst in Buka­rest gesucht und erst dann erfahren, dass sie zu­sammen mit Vater, Mutter und Bruder in Vatra Dornei waren. Doch schon wieder stellten sich Nuni und Willy Probleme in den Weg. Als junger Lehrer konnte Willy in Rum­änien wegen der vielen geflüchteten älteren Lehrer keine Anstellung, keinen „Katheder“, zugesprochen bekommen.

In dieser Zeit rollte die deutsche Armee in Hitlers Namen erbarmungslos und triumphierend über viele Länder hinweg. Das Echo von Hitlers „Führer befiel, wir folgen Dir“ klang bis Rumänien. Alle Deutsch­stämmigen sollten „Heim ins Reich“ kehren. So sah Willy seine gesicherte Zukunft nur in diesem Reich und fragte Nuni, ob sie ihm dann auch als seine Frau dorthin folgen würde. Sie war damit sofort ein­verstanden, fügte aber hinzu: „Der liebe Gott segnete mich nicht mit dem Fort­pflanzungs­trieb. Er fehlt mir voll­kommen, und ich bin dankbar dafür. Ich fühle kein Be­dürfnis, mich zu vermehren. Ich genüge mir ganz und gar. Du musst mich meinet­wegen, meines lieben Wesens wegen heiraten, nicht an Kinder denken.“ In dieser Weise dressierte sie Willy, und er hatte nichts dagegen. Das alles aber ihren Eltern zu erklären und um ihre Heirats­erlaubnis zu bitten, erschien ihr doch sehr kompliziert, denn sie war seinerzeit, mit neunzehn Jahren, noch nicht voll­jährig.

Silvius Antwort war: „Willy, Du bist zehn Jahre älter als Nunica, und ich hoffe, auch vernünftiger als sie. In ihrer Liebe sieht sie nicht die Gefahren, die ihr dort blühen werden. Sie hat keine Erfahrung, kann weder kochen noch räumen. In ein Land zu fahren, in dem der Krieg wütet, ohne Geld und ohne jegliche Hilfe, bei diesen Zuständen dort würde sich Eure Liebe in Sorgen verwandeln, und das wäre doch schade für Euch beide. Fahre allein, Willy. Wie es aussieht, ist Hitlers Sieg nah. Dann kannst Du Nuni holen und sie in einem fried­lichen Deutsch­land glücklich machen.“

Weinend flehte Nuni ihren Vater an, bat um sein Verständnis und versicherte ihm, dass Liebe die schwersten Umstände lösen könne. Silviu beriet sich mit Lilly, und schließ­lich sahen beide ein, dass der jugend­liche Elan ihrer Tochter stärker war als ihre Über­legungen und gaben ihr ihren Segen und die ersehnte Heirats­erlaubnis.

Willy musste nach Braşov (Kronstadt), eine schöne, von den Öster­reichern erbaute Stadt in Sieben­bürgen, um sich dort bei den deutschen Behörden zur Um­siedlung einzu­schreiben. Sie sollte Ende September statt­finden. Zufrieden waltete Nuni ihres Amtes im Casino von Vatra Dornei und wartete nicht auf „Führers“ Befehl, sondern auf ihren zukünftigen Gatten.

Bobby hingegen sah die Situa­tion ganz anders. Er bat Silviu, für ihn einen Russisch­lehrer zu engagieren, da er sofort diese Sprache beherrschen müsse. Ver­wundert sah ihn sein Vater an. Dann begann Bobby mit seiner Rede. „Hitler verliert den Krieg. Der deutsch-sowjetische Pakt ist nur eine Irre­führung. Eine List wie damals das Troja­nische Pferd. Sobald Hitler mit den west­lichen Län­dern aufgeräumt hat und sich von dort nicht mehr bedroht fühlt, dreht er die Waffen gegen Russland. Es ist der gleiche imperia­listische Gedanke, den schon Napoleon hatte. Dabei wird Deutsch­land, wie jetzt schon Frank­reich, kaputt­gehen. Es wird ein geteiltes Europa entstehen. Der Balkan, Rumänien, Ungarn, Polen und die Tschecho­slowakei geraten unter sowjetischen, der Rest Europas unter ameri­kanischen Einfluss. Verstehst Du jetzt, warum ich Russisch lernen muss?“, fragte ihn sein fünfzehnjähriger Sohn.

„Nein“, erwiderte Silviu, „an Deine Prog­nose will und kann ich nicht glauben. Du sprichst ja wie eine Pythia, und schließ­lich hast Du Dich ja bis heute gar nicht mit dem Welt­geschehen aus­einander­gesetzt. Du bist ein Kind, ein außer­ordentlich begabtes Kind, aber von Politik hast Du, gottlob, keine Ahnung. Spaßes­halber kannst Du aber noch eine Sprache mehr hinzu­lernen“, antwortete Silviu, und Herr Andrej Bivol wurde sein Magister.

Die Hochzeit rückte näher, und Nunica bereitete sich auf ihre Trauung vor. In Braşov erwartete sie Willy. Er sah bedrückt aus. Es war ihm anzu­sehen, dass er etwas zu verbergen hatte. „Bist Du krank?“, fragte Nuni ihn voller Sorge. „Nein“, antwortete er lautlos, „mir ist noch Schlim­meres passiert. Wir dürfen nicht heiraten! Als ich Herrn SS-Haupt­sturm­bann­führer Roland Hermes, Leiter der Umsiedlungs­aktion, meine Heirats­absicht vortrug, hielt er mir fast eine ganze Stunde lang einen Vortrag über ‚Rassen­kunde‘. Du als Rumänin würdest nicht ins Dritte Reich passen.“ Nuni begann zu weinen. Es war ihr klar­geworden, dass dieser neue Kampf mit Roland Hermes schwerer werden würde als der mit ihren Eltern. Heroisch bereitete sie sich auf ihn vor und bat Willy, ihr zu zeigen, wo dieser rassen­bewusste Mensch sitze.

Am nächsten Tag fanden sich beide im großen grauen Gebäude ein, das sich am Fuß des Berges „Tîmpa“ mitten in Braşov befand. Nuni ließ sich auf den Audienz­zettel zu Herrn Hermes eintragen und wartete voller Angst auf ihr Purgatorium. Im Stillen überlegte sie, wie sie ihre uner­wünschte Ab­stammung doch verbergen könnte. Ihr hellblondes Haar reichte wohl nicht aus, und blauen Lid­schatten zur Korrektur ihrer dunklen Augen hatte die damalige Kosmetik­industrie noch nicht ins Leben gerufen. Ein Diener bat sie herein. Schnell griff sie noch nach Willys Hand, trat dann allein ins Antichambre und klopfte mit klopfendem Herzen an Herrn Hermes' Tür. Vor ihr stand ein junger, großer Mann in einer grüngrauen Uniform, die seine schlanke Gestalt noch mehr hervorhob. Beim Betrachten seines Kopfes stellten sich Nuni einige Probleme – er war fast kahl, abrasiert, vom Scheitel hingen hellblonde, kurze Haar­strähn­chen von maximal fünf Zenti­metern Länge herab. Absurd schien Nuni dieses Haarphänomen, da hellblond doch ein Beweis der arischen Rasse sei. Sie suchte nach seinen Augen, die sie wegen ihrer Kurz­sichtigkeit nur schwer fand. Doch als er sie mit seinen Blicken zu durch­schauen versuchte, erkannte sie deren hellblaue, fast weiße Augenfarbe. Die Ohren jedoch ragten und standen – sicher, um Führers Befehle besser zu hören – weit ab. Mit einer formellen Hand­bewegung bot er Nunica einen Sessel an.

Da saß sie nun, fest angelehnt, Bein über Bein geschlagen, vor dem Mann, der über ihre Zukunft entscheiden sollte. Sich ihrer Rhetorik­künste und ihres jungend­lichen Charmes – trotz nicht „einwandfreier Rasse“ – bewusst, versuchte sie, Herrn Hermes mit ihrer öster­reichischen Familien­abstammung zu überzeugen. Schließlich war Österreich doch auch „heimgekehrt“ ins Deutsche Reich. Ihr fließendes Deutsch, durchsetzt mit originellen Satz- und Wort­bildungen, schien ihn zu amüsieren. „Nein, Herr Haupt­strumpfband­führer, Sie dürfen meine Bitte nicht abschlagen. Das deutsche und das rumä­nische Volk sind jetzt ver­brüdert. Bei uns herrscht durch die ‚Eiserne Garde' dieselbe Ideologie wie in Ihrem Reich. Es wäre ein politischer Fehler von Ihnen, unsere Heimat und mich abzu­lehnen.“, meinte Nuni voller Ent­husiasmus. Er sah sie an, wurde nachdenklich und meinte schließlich: „Gut, Fräulein Dimitrovici, mit Ihnen mache ich eine Ausnahme. Ich hoffe sehr, dass Sie und Ihr Mann dem deutschen Volk Ehre erweisen werden.“ Zu Nunis Erstaunen bot er sich sogar als Trauzeuge an, nachdem er auch Willy aus dem Vorzimmer hereingerufen hatte.

Die Trauung fand nach einer Woche, am 27. September 1940, im Standesamt von Braşov statt. Das junge Paar erhielt von Roland Hermes einen weißen Rosen­strauß, Hitlers „Mein Kampf“ und eine Auto­exkursion in die umliegenden Berge. Am Abend feierte man in der „Krone“, einem traditions­reichen Hotel, im kleinen Familien­kreise weiter.

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