Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Episode aus dem Roman „Genunea. Czerno­witz liegt nicht nur in der Buko­wina“

Nunis Ballkleid

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Bobby nahm an Nunis Ausflügen nie teil. „Schau mal! Genau, wie Du Freude verspürst, wenn Du den Pruth über­querst, genieße ich die Theorie des Archi­medes“, erklärte er ihr in seiner Bescheiden­heit und etwas schüch­tern, „für Sport, Spazier­gänge und lang­weilige Men­schen habe ich nicht viel übrig. Kannst Du mich ver­stehen?“

Trotz dieser unter­schied­lichen Lebensauffassungen hatten sich die beiden immer lieber. Bobby fand Gefallen an dem leb­haften Wesen seiner Schwester. Er hatte keine Freunde, und so musste Nuni ihm oft vor­tanzen oder fran­zö­si­sche Gedichte in ihrer pathe­tischen, ulkigen Weise vortragen. Täglich weckte er seine Schwe­ster aus dem Schlaf.

Er stand früher auf als Nuni, schlich durch ihr Zimmer ins Bad – ganz leise, um sie so früh noch nicht zu stören. Nach dem Duschen fand er sich wieder bei ihr ein. Im Slip um­kreiste er den runden Tisch vor Nunis Bett. In der einen Hand hielt er seine Zahn­bürste, in der anderen sein Frottée­tuch. Aus Verdis Opern sang er nun, die Zahnbürste als Takt­stock schwin­gend, erst piano, dann immer hef­tiger, den Text „Steh auf, mein Kind, die Sonne lacht, die Schule ist für Dich schon wach!“ So drehte er so viele Runden um Nunis runden Tisch, bis diese endlich aus dem Bett schlüpf­te.

Auch an ihrem Aussehen zeigte Bobby Inte­resse. Er be­wunder­te sie im Stil­len, als sie ihr schönstes Ball­kleid zur Hoch­zeit ihres Cousins Teofil trug – ein Modell­kleid, das Lilly für Nunica aus Paris bestellt hatte, aus weißem Tüll, mit vielen auf­gesetz­ten rosa Samt­rüschen.

Diese Trauung fand in der Kapelle der Residenz von Czern­owitz statt, und man feierte an­schließend im Offiziers-Casino bis in den Morgen hinein, da Teofil gleich­zeitig zum Leut­nant befördert worden war. Unzählige Uniformierte umzingelten Nunis Silhouette und baten um den nächsten Tanz. Blasiert ließ sie sich umschwärmen, zeigte aber für keinen von ihnen Sym­pathie. Sie wusste, dass die Herren Offi­ziere auf längere Sicht nur nach reicheren Mädchen jagten, um ihr luxuriöses Leben bestreiten zu können. Außer­dem verfügten die meisten Offiziere über ein sehr geringes geistiges Niveau, und all dies ent­sprach Nunis Menta­lität über­haupt nicht.

Ihrer Menta­lität ent­sprach viel­mehr, dass Silviu ihrer Lehrerin so galant den Hof machte, dass sie am näch­sten Tag einen Aufsatz mit bester Note bewertet bekam.

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