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In den Sommermonaten, bevor man ans Meer und ins Gebirge fuhr, verbrachte Nuni unvergessliche Tage am „Gänsehäufel“. So hieß das Strandbad am Flüsschen Pruth, der nördlich der Stadt Czernowitz ruhig und klar dahinfloss.
In Begleitung ihrer Freundin Titi und deren Eltern spazierte sie den langen Weg dorthin. Schon morgens um neun Uhr ertönte von der Straße die Stimme von Titis Vater Oskar durch die Gitterfenster: „Genunea, bist Du fertig, oder schläfst Du noch, Du kleine Faule?“ Mit vollgepacktem Körbchen und ihrem Strohhut lief Nuni dem Dreigespann lustig entgegen. Titi wohnte mit ihren Eltern nur drei Häuser von Nuni entfernt. Die fleißige Mitschülerin kam mit Nuni ganz gut aus, besonders aber verstand sich Nunica mit ihren Eltern. Die Franzensgasse, in der beide Familien lebten, fiel durch ihre unendliche Länge, ihre Form und ihre soziale Struktur auf. Vom jüdischen Tempel, vorbei an Parkanlagen, lief diese Straße in gerader Linie ungefähr ein einhalb Kilometer bis zum Hause Dimitrovici.
Hier begann dann ein abschüssiger, ungepflasterter Weg mit ärmlichen kleinen Häusern, der bis zum Pruth hinunterführte. Nur schwierig war dieser steinige Weg zum Strandbad zu bewältigen. Steinchen sprangen in die Sandalen und verwundeten die Zehen. Man verlor leicht das Gleichgewicht, kam ins Rutschen, und Nuni bremste mit ihrem Allerwertesten auf diesem steilen Abhang so manches Mal. Oskars Idee, den komplizierten und schwierigen Weg abzukürzen, wurde einstimmig angenommen. Man versuchte, durch die Gärten der Anwohner einfacher zum Strandbad zu kommen.
Die guten und bescheidenen Menschlein gestatteten es ihnen, ihr kleines „Hab und Gut“ zu durchqueren; sie fühlten sich sogar geehrt, dass die „Herrschaften“ es betraten. Aber das Ganze brachte auch Komplikationen mit sich. Kleine, morsche Holzzäune mussten bestiegen werden, und oft genug verscheuchten Hunde mit lautem, vorwurfsvollem Bellen die Eindringlinge. Nach allen Schwierigkeiten und Eskapaden gelangten dann aber doch alle wohlbehalten und unversehrt ins „Gänsehäufel“.
In den Kabinen zog man sich eilig um, verweilte dann längere Zeit vor dem Spiegel an den Treppen, um sich gründlich zu betrachten und ging schließlich lässig zur Wiese. Nunica und Titi wurden von den Blicken der jungen Burschen angestrahlt, und gern ließen sie sich bewundern. Onkel Oskar und Tante Hilde bereiteten schon die Decken auf dem Rasen aus, man sonnte sich systematisch auf Rücken und Bauch, und schließlich nahm man das zweite Frühstück ein.
So erholten sich die vier von den Strapazen des Fußweges und gingen dann ins Wasser. Oskar schwamm wie ein Schwan voraus, die anderen drei folgten ihm. Es bereitete ihnen besondere Freude, den Fluss zu überqueren; die Mädchen betrachteten sich als „Heldinnen“ und tauften das gegenüberliegende Ufer „Afrika“. Um Punkt ein Uhr ertönte das Mittagskonzert der kleinen Kapelle am Gänsehäufel-Kiosk.
Mit Appetit und einigen Ameisen, die sich in den Korb hineinverirrt hatten, vertilgte man das panierte Hühnchen und den Sauerkirschkuchen. Nachmittags promenierten Nunica und Titi zur Freude mancher Jungen längs des Flusses. Bei Sonnenuntergang ergötzten sie sich noch am warmen Pruthwasser, und zufrieden kehrten alle wieder nach Hause zurück.
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