Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Episode aus dem Roman „Genunea. Czerno­witz liegt nicht nur in der Buko­wina“

Polo­wsky

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Eines Tages kündigte Silviu den Kindern seine Kur an. Ver­jüngungs­kuren musste er drin­gend machen und fuhr nach Cîmpu­lung im Süden der Buko­wina, wo ein Sana­torium war. ,Ob dadurch seine außer­gewöhn­lichen Sitzungen noch verlängert würden?‘, dachte Nuni dia­bolisch.

Bevor Silviu seine Reise antrat, brachte er das Ge­schwi­ster­paar in die Pension „Socoliza“, ein großes Haus auf einem hohen Berg nicht weit von Czerno­witz entfernt. Herr Mischa Polo­wsky hatte seine Villa bewusst in dieser Gegend gebaut. Alle Zimmer mit Balkon und Pracht­panorama waren vom Frühling bis in den späten Herbst belegt. Man wohnte auf einem Berg mitten in einem Tannenwald. Ein kleiner Weg führte ins Tal, vorbei an Kühen mit Glöckchen, zu einer Halte­stelle der Bimmel­bahn, die einmal täg­lich, gegen zwölf Uhr mittags, mit Post und Lebens­mitteln beladen an­wackel­te.

„Herr Polo­wsky“, begann Silviu, „hier haben Sie meine Kinder für einen Monat in Ihrer Obhut. Ich bitte, auf sie gut aufzuvpassen, damit ich mir während meiner Kur keine Sorgen machen muss. Nuni schläft gern lange, dies ist aber hier nicht der Zweck der Sache. Bobby ist ein Bücher­fanatiker und ver­bringt den ganzen Tag im Zimmer. Um neun Uhr wecken Sie die beiden bitte und schicken Sie sie zum Spazieren­gehen in den Wald. Nuni kann in dem kleinen See schwimmen und am Nach­mittag Tennis spielen, Bobby auf einer Bank seiner Studien­wut nachgehen.“ Silviu ver­ab­schiedete sich und blickte voller Vor­freude der Zukunft entgegen – einer Zukunft in gesund­heit­licher Ver­jüngung und viel­leicht auch in Form einer jüngeren Dame!

Nuni packte ihre Kleider und ihre Tennis­ausrüstung aus, natürlich auch Bobbys Garde­robe, und begann Pläne zu schmieden. So früh geweckt zu werden, passte ihr natürlich nicht. Darum sperrte sie abends die Tür ab. Wenn Polo­wsky dann in der Frühe klopfte, konnte sie in Ruhe weiter­träumen von ihrem süßen Coca. Der fol­gende Tag lief plangemäß ab. Alles, was Nuni sich vornahm, geschah. Herr Polo­wsky zeigte sich aber un­ge­halten über die Kinder, die erst zum Mittag er­schienen. Abends vor dem Schlafen­gehen wollte Nuni noch schnell die Tür verschließen. Doch der Schlüssel fehlte. Es packte sie die Wut, die sich gegen Herrn Polo­wsky richtete. Auch standen keine Möbel im Zimmer, die ge­eignet gewesen wären, die Tür zu ver­barri­ka­die­ren.

Punkt neun Uhr klopfte es am nächsten Morgen, und im gleichen Moment erschien in seiner weißen Tracht Herr Polo­wsky. Nuni rieb sich die Augen, um den Schlaf zu wecken, und blickte Polo­wsky vorwurfs­voll an. Der strahlte sieges­bewusst, stand vor ihrem Bett. „Guten Morgen, meine Lieben, bitte raus aus den Federn! Ein wunderschöner Tag erwartet Euch!“ Nuni be­dank­te sich formell bei ihm und wies ihm höflich die Tür. „Nein, Fräulein Dimi­tro­vici, ich warte hier, bis Sie auf­stehen und sich anziehen. Schließlich muss ich dem Wunsch von Ihrem Papa Folge leisten.“ Seine Blicke rutschten un­will­kür­lich auf ihr Nacht­hemd und ihr Décolleté. Sie zog die Decke über den Kopf und erklärte. „Herr Polo­wsky, falls Sie das Zimmer nicht sofort ver­lassen, bleiben wir beide den ganzen Tag hier. Vor Ihnen werde ich mich nicht anziehen! Das wäre nicht im Sinne meines Vaters! Und den Zimmer­schlüssel möchte ich auch haben!

“ Wütend verließ Polo­wsky das Zimmer. Mischa Polo­wsky könnte man sicher zu den schönen Männern rechnen. Zwei­und­dreißig Jahre alt, groß und stattlich, immer mit char­man­tem Lächeln. Er trug weiße Hosen, dazu weiße Hemden mit auf­ge­krempel­ten Ärmeln. Milka, seine Frau, lag schon Monate lang krank in einem Czerno­witzer Hospi­tal. Nach dem Frühstück ging Nunica zum See schwimmen, um ihren Appetit für den Mittags­tisch noch zu vergrößern. Kaum war sie im Wasser, spürte sie sich auch schon von zwei Armen um­klammert. Polo­wsky tauchte auf und lachte aus ganzem Herzen über seine Tat. Auch im Wald, beim Spazieren­gehen, war Nuni sich nie seiner sicher. Er erschien plötzlich hinter einem Baum und wollte sie um­armen. Sie lief, so schnell sie konnte, bis er sie doch einholte, um ihr zu ge­stehen, wie sehr sie ihm gefiel und dass er sich in sie wahn­sinnig verliebt hatte. Nunica schenk­te seinen Worten keine Glauben. Sie war über­zeugt, dass Mischa mit ihr nur ein Aben­teuer suchte und ihre Situation hier immer gefähr­licher wurde. Coca konnte ihr nicht zur Hilfe kommen, um sie vor diesem „Don Juan“ zu retten, denn er absolvierte gerade irgend­wo sein Studien­praktikum.

Bobby verstand solche Affairen mit seinen zwölf Jahren noch nicht. Nuni bat Polo­wsky, sie in Frieden zu lassen. Sie saß dann den ganzen Tag mit Bobby auf der Wiese und wich nicht von seiner Seite. Bobby las im Schatten, Nuni ließ sich neben ihm von der Sonne bräunen. „Komm schnell weg“, rief sie plötzlich, „schau, Bobby, Polo­wsky rennt auf uns zu!“ Bobby nahm seine Brille von der Nase und ent­gegnete ruhig: „Aber Nuni, es ist doch eine weiße Kuh und nicht Polow­sky. Setz Dir doch auch Deine Brille auf.“ Aus Eitel­keit tat sie das natürlich nicht – sie trug keine Brille. Schon von Geburt an sehr kurz­sichtig und astigmatisch, sah sie mit ihrem linken Auge weit, mit dem rechten nur auf kurze Distanz. Doch sie hatte sich an dieses Ge­brechen gewöhnt, es störte sie wenig, es wirkte sich in vielen Situa­tionen sogar günstig aus. So musste sie auf der Straße ihre Leh­re­rin­nen nicht grüßen. Coca er­kannte sie von weitem – ohne Brille. Die Anderen interessierten sie nicht, und die Fiaker hörte sie schon von weitem durch ihr Glöckchenklingeln. Nur zum Klavierspielen, für Kino­besuche und verbotene Revuen trug sie ihre Brille.

Polo­wsky wurde ihr zu einem Alp­traum, zumal sie Silviu nicht gleich be­nach­richti­gen konnte. Zehn Kilo­meter ent­fernt vom Haus befand sich ein Postamt. Bobby be­glei­tete sie dorthin, von wo aus sie Silviu in der Ver­jüngung­s­kur­anstalt anrief. „Komme bitte sofort, Papa, meine jung­fräu­liche Unschuld ist von Polo­wsky bedroht.“ Lapidar er­widerte ihr Vater: „Wenn Du solche Angst um Dich hast, wirst Du gut selbst auf Dich aufpassen können.“ Seine Verjüngungs-Meta­morphose wollte er nicht unterbrechen. „Dann tele­foniere bitte sofort mit dem Militärlyzeum und schicke mir Octavian und Gheorghe her, damit sie mich behüten.“ Diese Idee nahm Silviu an, und nach zwei Tagen er­schienen die beiden Helden.

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