Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Episode aus dem Roman „Genunea. Czerno­witz liegt nicht nur in der Buko­wina“

Coca

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Da Lilly sich im Ausland befand, konnte Silviu seine familiären Be­ziehungen pfle­gen. So be­such­te er sonntags oft seine jüngste und liebste Schwe­ster Horten­sie zum Kaffee. Nunica nahm er immer mit. Zu Fuß legten sie den sehr weiten Weg zu Horten­sie zurück, die in einem nörd­li­chen Villen­viertel der Stadt wohnte. Immer wurden sie sehr herzlich und freudig em­pfangen. Nuni gefiel das gemüt­liche, ein­stöcki­ge Familien­häuschen, in dem ihre Tante Hortensie, ihr Onkel Dionysos und deren drei Söhne wohnten.

Bevor Kaffee ge­trunken wurde, bot Tante Hortensie auf kleinen Kristalltellerchen ver­schie­dene Sorten Konfitüre zum Kosten an, dazu ein Glas eiskaltes Wasser – ein Brauch, der noch auf die frühere, langjährige türkische Herrschaft zurück­gehen mochte. Mit all ihrem Elan stürzte sich Nunica jeden­falls auf die Rosen-, Nuss-, Pflaumen- und Bitter­kirsch­konfitüren.

Ihre drei Cousins waren älter als sie und um­sorgten sie wie nur möglich. Besonders gefiel ihr Elinor, der immer nur „Coca“ genannt wurde. Er spielte sehr gut Klavier, und sie lauschte verträumt seiner Musik. Vor dem Abend­brot ging Nunica ins Bade­zimmer, um sich die Hände zu waschen. Coca ließ sie nicht allein, wollte ihr dabei be­hilf­lich sein. Kaum war die Badezimmertür hinter ihnen ge­schlossen, fielen sie sich in die Arme... Das rau­schende Wasser be­gleitete melodisch ihre Küsse.

Wenige Tage später trafen sie sich im Dominik-Park. Oft holte Nuni Coca von der juristischen Fakul­tät ab. Diese unschuldige, schöne Liebelei festigte sich immer mehr und mehr. Mittlerweile wurde Nunica 16 Jahre alt, und es genügten ihr die plato­ni­schen Um­armungen ihres Vetters Coca nicht mehr. Sie liebte ihn sehr, hätte ihn sofort ge­heiratet, doch sie wusste, dass sie dazu von Lilly und Silviu nie die Ge­neh­mi­gung und ihren Segen erhalten hätte. Als sie einmal das Problem an­schnitt, bekam sie prompt die Ant­wort: „Du bist noch viel zu jung, ohne Abitur; Coca muss auch noch vier Se­mester stu­dieren. Außerdem seid ihr verwandt, und nicht einmal der Staat lässt so eine In­zucht zu. Die Kinder werden zu Idioten!“ Es half nichts, Nuni konnte ihrem Vater immer wieder beteuern, dass sie nie Kinder haben wolle, doch wer glaubte schon einem jungen Mädchen? So litt sie im Stillen und küsste jeden Abend weinend das Bildchen von Coca, das sie in einem Gebet­buch unter ihrem Kopf­kissen verborgen hielt. Es war ein sehr schönes Gebet­buch, welches sie von ihrer ge­liebten „Omama“ geschenkt bekommen hatte – in schwar­zes Leder ge­bunden, gold­umrandet, mit einem Perlmutt-Kreuzchen in der Mitte.

Vor dem Schlafen­gehen dachte Nunica an ihre Großmutter und bat sie um Rat und Hilfe, indem sie das Büchlein fest in ihren Händen hielt – mit Cocas Bild. Leider wurde sie von nie­mandem erhört, und so ver­suchte sie, allein um ihr Glück zu kämpfen. Fünf Jahre müsste sie noch bis zu ihrer Voll­jährig­keit warten.

Cocas Liebe war über jeden Zweifel erhaben, Nuni traf sich mit ihm fast täglich im Geheimen – und sonntags ganz offiziell bei ihm zuhause. Tante Horten­sie und Onkel Diony­sos standen diesem Liebes­verhältnis ver­ständnis­voller gegenüber. Es wäre ja auch nicht un­ange­bracht gewesen, eine so reiche Schwieger­tochter zu be­kommen. Eines jedoch ver­stand Nuni bei Coca nicht so ganz. Er sagte ihr: „Unsere Liebe muss ver­nünf­tig bleiben. Ich liebe Dich so sehr, dass ich Dich immer respek­tie­ren werde und bis zu unserer Trau­ung Dich nie un­an­ständig berühre.“ Sein Respekt impo­nierte Nunica über­haupt nicht. Und das alles noch fünf lange Jahre!

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