|
|
|
Da Lilly sich im Ausland befand, konnte Silviu seine familiären Beziehungen pflegen. So besuchte er sonntags oft seine jüngste und liebste Schwester Hortensie zum Kaffee. Nunica nahm er immer mit. Zu Fuß legten sie den sehr weiten Weg zu Hortensie zurück, die in einem nördlichen Villenviertel der Stadt wohnte. Immer wurden sie sehr herzlich und freudig empfangen. Nuni gefiel das gemütliche, einstöckige Familienhäuschen, in dem ihre Tante Hortensie, ihr Onkel Dionysos und deren drei Söhne wohnten.
Bevor Kaffee getrunken wurde, bot Tante Hortensie auf kleinen Kristalltellerchen verschiedene Sorten Konfitüre zum Kosten an, dazu ein Glas eiskaltes Wasser – ein Brauch, der noch auf die frühere, langjährige türkische Herrschaft zurückgehen mochte. Mit all ihrem Elan stürzte sich Nunica jedenfalls auf die Rosen-, Nuss-, Pflaumen- und Bitterkirschkonfitüren.
Ihre drei Cousins waren älter als sie und umsorgten sie wie nur möglich. Besonders gefiel ihr Elinor, der immer nur „Coca“ genannt wurde. Er spielte sehr gut Klavier, und sie lauschte verträumt seiner Musik. Vor dem Abendbrot ging Nunica ins Badezimmer, um sich die Hände zu waschen. Coca ließ sie nicht allein, wollte ihr dabei behilflich sein. Kaum war die Badezimmertür hinter ihnen geschlossen, fielen sie sich in die Arme... Das rauschende Wasser begleitete melodisch ihre Küsse.
Wenige Tage später trafen sie sich im Dominik-Park. Oft holte Nuni Coca von der juristischen Fakultät ab. Diese unschuldige, schöne Liebelei festigte sich immer mehr und mehr. Mittlerweile wurde Nunica 16 Jahre alt, und es genügten ihr die platonischen Umarmungen ihres Vetters Coca nicht mehr. Sie liebte ihn sehr, hätte ihn sofort geheiratet, doch sie wusste, dass sie dazu von Lilly und Silviu nie die Genehmigung und ihren Segen erhalten hätte. Als sie einmal das Problem anschnitt, bekam sie prompt die Antwort: „Du bist noch viel zu jung, ohne Abitur; Coca muss auch noch vier Semester studieren. Außerdem seid ihr verwandt, und nicht einmal der Staat lässt so eine Inzucht zu. Die Kinder werden zu Idioten!“ Es half nichts, Nuni konnte ihrem Vater immer wieder beteuern, dass sie nie Kinder haben wolle, doch wer glaubte schon einem jungen Mädchen? So litt sie im Stillen und küsste jeden Abend weinend das Bildchen von Coca, das sie in einem Gebetbuch unter ihrem Kopfkissen verborgen hielt. Es war ein sehr schönes Gebetbuch, welches sie von ihrer geliebten „Omama“ geschenkt bekommen hatte – in schwarzes Leder gebunden, goldumrandet, mit einem Perlmutt-Kreuzchen in der Mitte.
Vor dem Schlafengehen dachte Nunica an ihre Großmutter und bat sie um Rat und Hilfe, indem sie das Büchlein fest in ihren Händen hielt – mit Cocas Bild. Leider wurde sie von niemandem erhört, und so versuchte sie, allein um ihr Glück zu kämpfen. Fünf Jahre müsste sie noch bis zu ihrer Volljährigkeit warten.
Cocas Liebe war über jeden Zweifel erhaben, Nuni traf sich mit ihm fast täglich im Geheimen – und sonntags ganz offiziell bei ihm zuhause. Tante Hortensie und Onkel Dionysos standen diesem Liebesverhältnis verständnisvoller gegenüber. Es wäre ja auch nicht unangebracht gewesen, eine so reiche Schwiegertochter zu bekommen. Eines jedoch verstand Nuni bei Coca nicht so ganz. Er sagte ihr: „Unsere Liebe muss vernünftig bleiben. Ich liebe Dich so sehr, dass ich Dich immer respektieren werde und bis zu unserer Trauung Dich nie unanständig berühre.“ Sein Respekt imponierte Nunica überhaupt nicht. Und das alles noch fünf lange Jahre!
|
|