Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Episode aus dem Roman „Genunea. Czerno­witz liegt nicht nur in der Buko­wina“

Erste Experimente

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Silviu, die Kinder und das Perso­nal gingen ihren Inte­ressen nach und ge­stal­teten sich ihr Leben so inte­res­sant und ab­wechs­lungs­reich wie möglich. Nunica lernte erfolg­reich, trotz ihres ungewöhn­lichen Lebens­stils. Neu hinzu­gekommen war nun, dass sie sich nicht mehr für die herkömmlichen Jugendbücher inte­res­sierte, sondern sich heimlich ver­botene Lektüre ver­schaffte, in der die Liebe pikant und kon­kret ge­schil­dert wurde. Diese Bücher brachte sie mit zum Unter­richt und las sie unter der Schul­bank. Merkwürdig – Nunica war so geschickt, dass sie nie beim Lesen ertappt wurde. Um auch das Niveau ihrer Klassen­kolle­ginnen zu heben, borgte sie ihnen die Bücher auch gern aus, und so wandelte sich die triste Schul­atmosphäre in Optimismus und Frivo­lität. Es wird die Zeit der ersten Flirts.

Nuni „ex­peri­men­tier­te“ in ersten Anfängen mit Octa­vian und Gheorghe. Die beiden waren nur zwei Jahre älter als sie, Waisen­kinder, von Silviu und Lilly adoptiert. Sie wohnten in einem Internat und besuchten das Militär­lyzeum. An Sonn- und Feier­tagen kamen beide und blieben bis zum Abend bei der Familie Dimi­tro­vici. Ihre Uni­form sah putzig aus – khaki­farbene lange Hosen, seit­lich mit einem breiten, roten Streifen versehen, das Jackett mit Trom­peten­gold­knöpfen bis zum Hals ge­schlossen, rote Epau­letten und einen steifen roten Kragen, eine Khaki-Mütze, vorn ver­sehen mit einem langen, roten Feder­busch. So bekleidet er­schienen die beiden vor­mittags mit dem typischen Des­infektant-Geruch des Inter­nats, frisch gebadet, mit gutem Appetit und fröh­licher Laune. Bobby hatte mit ihnen nicht viel im Sinn. Nunica aber empfing sie strah­lend, und alle drei spielten dann im Wilden Garten. Nach­mittags zeigte sie sich mit Octavian und Gheorghe gern auf der Straße, weil sie sich zwischen den beiden Uni­formen be­sonders dekora­tiv vorkam.

Die Eltern arran­gier­ten öfters auch „Tanz­tees“. Man lud ver­schiedene Schüler des Militärlyzeums ein, Nuni brachte ver­schiedene Schul­freun­dinnen nach Hause, und man tanzte nach Grammophon­musik bis in den späten Abend. Das gemein­same Tanzen aber bereitete Nunica einige Schwierig­keiten, denn sie konnte sich nicht „führen“ lassen. Durch das Ballett hatte sie eine Eigen­willig­keit be­kommen, und so tanzte sie schon damals – wie heute gang und gäbe – allein, weit ent­fernt von ihrem Part­ner.

Den ersten Kuss bekam sie nicht von diesen Jungen, denn die waren noch viel zu schüchtern.

Eines Abends aber, als sie vom Eis­laufen heim­gekehrt war und klin­gelte, öffnete ihr nicht Zenobia, sondern ein Kavalle­rie­hauptmann, der zufällig zu Besuch gekommen war. Er hieß mit Nach­namen „Degeratu“ (zu deutsch „Erfrorener“) – zeigte sich aber ganz anders: Im dunklen Korridor nahm er Nunica in die Arme und küsste sie auf den Mund. Mit einer Ohr­feige konnte sie sich vor einem zweiten Kuss retten, lief ins Bade­zimmer, putzte sich die Zähne sehr gründ­lich und spülte ihren Mund mit reinem Alkohol aus, damit jede Gefahr einer Schwangerschaft mög­lichst gebannt wäre.

Dieser Dumitru Degeratu war ein sehr begehrter „Kavalier“. Mädchen und junge Damen riefen ihn „Duzu“ und fanden ihn un­wider­stehlich – seine Uni­form, die langen blanken Lack­stiefel und die kleine Reiter­peitsche er­ober­ten ihre Herzen. Geist, den er nicht besaß, suchten sie nicht. Nunica war anspruchs­voller, ging zu Silviu und bat ihn, diese Person nie wieder zu em­pfangen.

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