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Silviu, die Kinder und das Personal gingen ihren Interessen nach und gestalteten sich ihr Leben so interessant und abwechslungsreich wie möglich. Nunica lernte erfolgreich, trotz ihres ungewöhnlichen Lebensstils. Neu hinzugekommen war nun, dass sie sich nicht mehr für die herkömmlichen Jugendbücher interessierte, sondern sich heimlich verbotene Lektüre verschaffte, in der die Liebe pikant und konkret geschildert wurde. Diese Bücher brachte sie mit zum Unterricht und las sie unter der Schulbank. Merkwürdig – Nunica war so geschickt, dass sie nie beim Lesen ertappt wurde. Um auch das Niveau ihrer Klassenkolleginnen zu heben, borgte sie ihnen die Bücher auch gern aus, und so wandelte sich die triste Schulatmosphäre in Optimismus und Frivolität. Es wird die Zeit der ersten Flirts.
Nuni „experimentierte“ in ersten Anfängen mit Octavian und Gheorghe. Die beiden waren nur zwei Jahre älter als sie, Waisenkinder, von Silviu und Lilly adoptiert. Sie wohnten in einem Internat und besuchten das Militärlyzeum. An Sonn- und Feiertagen kamen beide und blieben bis zum Abend bei der Familie Dimitrovici. Ihre Uniform sah putzig aus – khakifarbene lange Hosen, seitlich mit einem breiten, roten Streifen versehen, das Jackett mit Trompetengoldknöpfen bis zum Hals geschlossen, rote Epauletten und einen steifen roten Kragen, eine Khaki-Mütze, vorn versehen mit einem langen, roten Federbusch. So bekleidet erschienen die beiden vormittags mit dem typischen Desinfektant-Geruch des Internats, frisch gebadet, mit gutem Appetit und fröhlicher Laune. Bobby hatte mit ihnen nicht viel im Sinn. Nunica aber empfing sie strahlend, und alle drei spielten dann im Wilden Garten. Nachmittags zeigte sie sich mit Octavian und Gheorghe gern auf der Straße, weil sie sich zwischen den beiden Uniformen besonders dekorativ vorkam.
Die Eltern arrangierten öfters auch „Tanztees“. Man lud verschiedene Schüler des Militärlyzeums ein, Nuni brachte verschiedene Schulfreundinnen nach Hause, und man tanzte nach Grammophonmusik bis in den späten Abend. Das gemeinsame Tanzen aber bereitete Nunica einige Schwierigkeiten, denn sie konnte sich nicht „führen“ lassen. Durch das Ballett hatte sie eine Eigenwilligkeit bekommen, und so tanzte sie schon damals – wie heute gang und gäbe – allein, weit entfernt von ihrem Partner.
Den ersten Kuss bekam sie nicht von diesen Jungen, denn die waren noch viel zu schüchtern.
Eines Abends aber, als sie vom Eislaufen heimgekehrt war und klingelte, öffnete ihr nicht Zenobia, sondern ein Kavalleriehauptmann, der zufällig zu Besuch gekommen war. Er hieß mit Nachnamen „Degeratu“ (zu deutsch „Erfrorener“) – zeigte sich aber ganz anders: Im dunklen Korridor nahm er Nunica in die Arme und küsste sie auf den Mund. Mit einer Ohrfeige konnte sie sich vor einem zweiten Kuss retten, lief ins Badezimmer, putzte sich die Zähne sehr gründlich und spülte ihren Mund mit reinem Alkohol aus, damit jede Gefahr einer Schwangerschaft möglichst gebannt wäre.
Dieser Dumitru Degeratu war ein sehr begehrter „Kavalier“. Mädchen und junge Damen riefen ihn „Duzu“ und fanden ihn unwiderstehlich – seine Uniform, die langen blanken Lackstiefel und die kleine Reiterpeitsche eroberten ihre Herzen. Geist, den er nicht besaß, suchten sie nicht. Nunica war anspruchsvoller, ging zu Silviu und bat ihn, diese Person nie wieder zu empfangen.
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