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Mit sieben Jahren bestand Rondella die erste Volksschulklasse mit guten Noten. An das Lernen hatte sie sich nur schwer gewöhnt, wurde nun aber in die zweite Klasse versetzt.
Nun musste Rondellas Oma sie auf ein kompliziertes Ereignis vorsichtig vorbereiten: die „Heilige Kommunion“. Der Religionsunterricht begann und regte die Phantasie der Kinder an. Die mystische orthodoxe Kirche lancierte verschiedene Gebete und Rituale, die für Erwachsene nicht immer verständlich waren – geschweige für achtjährige Kinder. Oma hatte Rondella in ihrem religiösen Sinn erzogen. Oberhalb ihres Bettchens befand sich ein Schutzengel, ein großes Gemälde nach Raffael. Vor ihm kniete die Kleine vor dem Schlafengehen hin und bat um seinen Schutz für ihre Eltern, Bobby, Oma, für alle guten und armen Menschen und für sich selbst. Daran war Rondella gewöhnt und damit auch einverstanden. Sie betrachtete ihren Engel als einen Boten des lieben Gottes, der ihre Bitten erfüllen würde. „Der liebe Gott hat alles erschaffen, alles Gute auf unserer Erde; er ist der Allmächtige“, erklärte ihr Oma. Weil Rondella aber aufmerksam zuhörte, drängten sich ihr doch einige Fragen auf. „Sag mal, liebe Oma, warum gibt es so viele arme und kranke Menschen? Warum müssen wir die Türen vor Dieben zusperren? Wenn Gott so gut und lieb ist, kann er dann nicht den Armen und Kranken helfen und die Diebe abschaffen?“ Die Antwort musste von Oma pädagogisch bedacht werden. „Ja, mein Kind“, antwortet sie dann, „Kranke wird es immer geben. Die Menschen sind unvorsichtig, sie ziehen sich bei Kälte aus Eitelkeit nicht warm genug an, sie putzen sich morgens und abends nicht die Zähne; Kinder spielen im Sand und waschen sich vor dem Essen nicht die Händchen – also ist nicht der liebe Gott an alledem schuld.“ Rondella nickte zustimmend. „Aber wie ist es mit den Dieben, Oma?“ „Die Diebe sind ein Produkt des Teufels, der in fast alles seine Nase hineinsteckt. Es gibt eben gute Menschen – die sind Gotteskinder – und böse – die sind Teufelsmenschen. Vor den Letzten müssen wir uns hüten.“ Wer aber überhaupt den Teufel erst erschaffen hat, danach vergaß Rondella zu fragen. „Woran kann man die guten von den schlechten Menschen unterscheiden?“, fragte sie stattdessen. „Gute Menschen schauen beim Sprechen dem Partner in die Augen, sie sind hilfsbereit und lügen nicht. Daran kann man sie erkennen.“ Wenn auch nicht ganz aufgeklärt, stellte sich Rondella mit diesen Antworten dann doch zufrieden und sprach das Thema „Sünde“ an. „Was ist Sünde? Wie kann man Sünden vermeiden oder verzeihen?“ Dass Jesus sich für unsere Sünden geopfert hatte und gekreuzigt worden war – das konnte Rondella in dem Alter noch nicht begreifen. Der Religionslehrer machte diese philosophischen Ideen seinen kleinen Schülern auf solch unverständliche Art und Weise deutlich: Jeder von uns begehe Sünden, tue Unerlaubtes. Diese Sünden solle man doch Gottes Boten, einem Pfarrer, beichten und büßen. So würde man für den Empfang der „Heiligen Kommunion“ vorbereitet und dürfe „Leib und Blut von Jesus“ entgegennehmen. Rondella lief wieder angstvoll zu ihrer Oma. „Was für Sünden habe ich? Was muss ich dem Pfarrer beichten? Hilf mir, bitte, bitte.“ „Denk mal nach, kleine Rondella“, sagte Oma sanft zu ihr, „ärgerst Du mich nie, wirklich nie?“ Rondella wurde befangen, sogar etwas eingeschüchtert. Dann gab sie folgende Antwort: „Ich trage keine Schürze und beflecke alle meine hübschen Kleidchen. Ich gehe oft heimlich in die Speisekammer und nasche mit dem großen Suppenlöffel aus verschiedenen Gläsern Konfitüre. Mehr aber weiß ich nicht. Sag Du, was ich sonst noch Schlechtes tue. Wird mir der liebe Gott diese Sünden verzeihen?“ Oma umarmte sie, fand ihr auch keine anderen Sünden und versicherte ihr, dass der liebe Gott ihr vergeben würde.
Der große Tag rückte heran. Nach dem Unterricht kam der Pfarrer in die Klasse. Er trug einen langen Bart, ein schwarzes, langes Gewand und seine ernste Miene. So ging er zum Katheder, setzte sich, zog aus seiner schwarzen Tasche einen roten Stoff heraus, der einem Tischläufer ähnelte und in der Mitte ein großes Loch hatte. In dieses Loch stieg er mit einem Kopf herein, und das rote, mit einem schwarz-weißen Kreuz bestickte Stofftuch hing ihm fast bis zu den Füßen hinunter. Die Schüler schauten ihn andachtsvoll und erwartungsfroh an. Aus seiner Tasche zog er ein Büchlein mit den Namen der Kinder. Er rief sie einzeln, alphabetisch, zu sich. Sie mussten an seiner Seite niederknien, bekamen das rote Stoffding auf den Kopf gelegt und dazu als Gottessegen auch die Hand des Pfarrers auf ihre Köpfchen. In dieser Postur fühlte sich Rondella gar nicht gut. Ihre Position war schon durch den harten Schulfußboden nicht gerade angenehm, und ihre Knie begannen zu schmerzen. Die Lüfte, die aus dem Gewand des alten Pfarrers ausströmten, und der Duft seiner Schuhe samt Schuhcreme lösten bei Rondella auch nicht gerade religiöse Begeisterung aus. Dann beugte er sich bis zu ihrem Ohr herab, kitzelte sie dabei unwillkürlich mit seinem schmutzigweißen Bart und begann, sie nach ihren Sünden auszufragen. Rondella leierte sie ihm ganz schnell herunter und war froh, dass sie davon nicht mehr besaß – nicht wegen der Anzahl ihrer Sünden, das ganze Gehabe war nicht gerade ihr Fall. Der Pfarrer versicherte ihr, dass der liebe Gott ihre Sünden verzeihen würde, wenn sie zehn Tage lang an jedem Abend vor dem Schlafengehen eine Buße vornehmen würde, die darin bestünde, mit dem Kopf zehnmal auf den Fußboden zu schlagen, sodass man es richtig hören könne. Und das an zehn Abenden! Außerdem sollte sie das Schürzchen nie anzuziehen vergessen und keine Konfitüre mehr klauen – so würde sich Gott ihrer erbarmen und ihr verzeihen.
Dies alles erzählte sie zuhause ihrer lieben Oma. Sie musste sich sehr enthalten, um vor Lachen nicht zu platzen. Rondella aber dachte ganz intensiv nach und begann wie gewöhnlich mit ihrer Oma zu plaudern. „Weißt Du, Omama, mir fällt etwas Besseres ein. Das nächste Mal gehe ich gar nicht mehr zu dieser Beichte. Der Pfarrer ist mir unsympathisch, ist alt und schmierig. Ich werde, wie an jedem Abend, vor meinem Schutzengelchen knien, ihm alle meine Sünden vortragen, er wird sie zum lieben Gott weiterleiten – und mir verzeihen. Den Kopf an die Wand oder an den Boden schmeißen werde ich nicht. Aber ich verspreche Dir, weil ich Dich so lieb habe, ab und zu Schürzchen zu tragen, wenn ich ein neues Kleidchen anziehe, und aus der Speisekammer werde ich nur mit einem Teelöffel naschen. Is’ gut, Oma?“
Am Abend kniete Rondella vor ihrem Schutzengel, erzählte auch ihm das Erlebte, und statt Kopfklopfen küsste sie ihn auf seine Wangen und Flügel – zehn Mal, zehn Abende. Und Oma ließ sie dabei – ohne Kommentar.
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