Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Episode aus dem Roman „Genunea. Czerno­witz liegt nicht nur in der Buko­wina“

Vor der Communion

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Mit sieben Jahren bestand Rondella die erste Volksschul­klasse mit guten Noten. An das Lernen hatte sie sich nur schwer gewöhnt, wurde nun aber in die zweite Klasse versetzt.

Nun musste Rondellas Oma sie auf ein kompli­ziertes Ereignis vor­sichtig vor­bereiten: die „Heilige Kommunion“. Der Religions­unterricht begann und regte die Phan­tasie der Kinder an. Die mystische ortho­doxe Kirche lancierte ver­schie­dene Gebete und Rituale, die für Erwachsene nicht immer verständlich waren – geschweige für acht­jährige Kinder. Oma hatte Rondella in ihrem religiösen Sinn erzogen. Ober­halb ihres Bett­chens befand sich ein Schutz­engel, ein großes Gemälde nach Raffael. Vor ihm kniete die Kleine vor dem Schlafen­gehen hin und bat um seinen Schutz für ihre Eltern, Bobby, Oma, für alle guten und armen Menschen und für sich selbst. Daran war Rondella gewöhnt und damit auch ein­ver­standen. Sie be­trach­tete ihren Engel als einen Boten des lieben Gottes, der ihre Bitten erfüllen würde. „Der liebe Gott hat alles erschaffen, alles Gute auf unserer Erde; er ist der Allmächtige“, erklärte ihr Oma. Weil Rondella aber auf­merksam zuhörte, drängten sich ihr doch einige Fragen auf. „Sag mal, liebe Oma, warum gibt es so viele arme und kranke Menschen? Warum müssen wir die Türen vor Dieben zusperren? Wenn Gott so gut und lieb ist, kann er dann nicht den Armen und Kranken helfen und die Diebe abschaffen?“ Die Antwort musste von Oma päda­gogisch bedacht werden. „Ja, mein Kind“, antwortet sie dann, „Kranke wird es immer geben. Die Menschen sind unvorsichtig, sie ziehen sich bei Kälte aus Eitel­keit nicht warm genug an, sie putzen sich morgens und abends nicht die Zähne; Kinder spielen im Sand und waschen sich vor dem Essen nicht die Händchen – also ist nicht der liebe Gott an alledem schuld.“ Rondella nickte zu­stimmend. „Aber wie ist es mit den Dieben, Oma?“ „Die Diebe sind ein Produkt des Teufels, der in fast alles seine Nase hinein­steckt. Es gibt eben gute Menschen – die sind Gottes­kinder – und böse – die sind Teufels­menschen. Vor den Letzten müssen wir uns hüten.“ Wer aber überhaupt den Teufel erst erschaffen hat, danach vergaß Rondella zu fragen. „Woran kann man die guten von den schlechten Menschen unter­scheiden?“, fragte sie statt­dessen. „Gute Menschen schauen beim Sprechen dem Partner in die Augen, sie sind hilfs­bereit und lügen nicht. Daran kann man sie erkennen.“ Wenn auch nicht ganz aufgeklärt, stellte sich Rondella mit diesen Ant­worten dann doch zu­frieden und sprach das Thema „Sünde“ an. „Was ist Sünde? Wie kann man Sünden vermeiden oder ver­zeihen?“ Dass Jesus sich für unsere Sünden geopfert hatte und ge­kreuzigt worden war – das konnte Rondella in dem Alter noch nicht begreifen. Der Religions­lehrer machte diese philo­sophi­schen Ideen seinen kleinen Schülern auf solch un­verständliche Art und Weise deut­lich: Jeder von uns begehe Sünden, tue Un­erlaubtes. Diese Sünden solle man doch Gottes Boten, einem Pfarrer, beichten und büßen. So würde man für den Empfang der „Heiligen Kommunion“ vor­bereitet und dürfe „Leib und Blut von Jesus“ ent­gegen­nehmen. Rondella lief wieder angstvoll zu ihrer Oma. „Was für Sünden habe ich? Was muss ich dem Pfarrer beichten? Hilf mir, bitte, bitte.“ „Denk mal nach, kleine Rondella“, sagte Oma sanft zu ihr, „ärgerst Du mich nie, wirklich nie?“ Rondella wurde befangen, sogar etwas einges­chüch­tert. Dann gab sie folgende Antwort: „Ich trage keine Schürze und beflecke alle meine hübschen Kleid­chen. Ich gehe oft heim­lich in die Speise­kammer und nasche mit dem großen Suppen­löffel aus ver­schiede­nen Gläsern Konfitüre. Mehr aber weiß ich nicht. Sag Du, was ich sonst noch Schlech­tes tue. Wird mir der liebe Gott diese Sünden ver­zeihen?“ Oma umarmte sie, fand ihr auch keine anderen Sünden und ver­sicherte ihr, dass der liebe Gott ihr vergeben würde.

Der große Tag rückte heran. Nach dem Unter­richt kam der Pfarrer in die Klasse. Er trug einen langen Bart, ein schwarzes, langes Gewand und seine ernste Miene. So ging er zum Katheder, setzte sich, zog aus seiner schwarzen Tasche einen roten Stoff heraus, der einem Tisch­läufer ähnelte und in der Mitte ein großes Loch hatte. In dieses Loch stieg er mit einem Kopf herein, und das rote, mit einem schwarz-weißen Kreuz be­stickte Stoff­tuch hing ihm fast bis zu den Füßen hinunter. Die Schüler schauten ihn andachts­voll und erwartungs­froh an. Aus seiner Tasche zog er ein Büch­lein mit den Namen der Kinder. Er rief sie einzeln, alpha­betisch, zu sich. Sie mussten an seiner Seite nieder­knien, bekamen das rote Stoff­ding auf den Kopf gelegt und dazu als Gottes­segen auch die Hand des Pfarrers auf ihre Köpfchen. In dieser Postur fühlte sich Rondella gar nicht gut. Ihre Position war schon durch den harten Schul­fußboden nicht gerade angenehm, und ihre Knie begannen zu schmerzen. Die Lüfte, die aus dem Gewand des alten Pfarrers aus­ström­ten, und der Duft seiner Schuhe samt Schuhcreme lösten bei Rondella auch nicht gerade religiöse Be­gei­ste­rung aus. Dann beugte er sich bis zu ihrem Ohr herab, kitzelte sie dabei un­will­kür­lich mit seinem schmutzig­weißen Bart und begann, sie nach ihren Sünden auszufragen. Rondella leierte sie ihm ganz schnell herunter und war froh, dass sie davon nicht mehr besaß – nicht wegen der Anzahl ihrer Sünden, das ganze Gehabe war nicht gerade ihr Fall. Der Pfarrer ver­sicherte ihr, dass der liebe Gott ihre Sünden ver­zeihen würde, wenn sie zehn Tage lang an jedem Abend vor dem Schlafen­gehen eine Buße vor­nehmen würde, die darin bestünde, mit dem Kopf zehnmal auf den Fußboden zu schlagen, sodass man es richtig hören könne. Und das an zehn Abenden! Außer­dem sollte sie das Schürz­chen nie anzu­ziehen ver­gessen und keine Konfi­türe mehr klauen – so würde sich Gott ihrer erbarmen und ihr ver­zeihen.

Dies alles erzählte sie zuhause ihrer lieben Oma. Sie musste sich sehr ent­halten, um vor Lachen nicht zu platzen. Rondella aber dachte ganz inten­siv nach und begann wie gewöhnlich mit ihrer Oma zu plaudern. „Weißt Du, Omama, mir fällt etwas Besseres ein. Das näch­ste Mal gehe ich gar nicht mehr zu dieser Beichte. Der Pfarrer ist mir un­sympa­thisch, ist alt und schmierig. Ich werde, wie an jedem Abend, vor meinem Schutz­engelchen knien, ihm alle meine Sünden vor­tragen, er wird sie zum lieben Gott weiter­leiten – und mir ver­zeihen. Den Kopf an die Wand oder an den Boden schmeißen werde ich nicht. Aber ich vers­preche Dir, weil ich Dich so lieb habe, ab und zu Schürz­chen zu tragen, wenn ich ein neues Kleid­chen anziehe, und aus der Speise­kammer werde ich nur mit einem Teelöffel naschen. Is’ gut, Oma?“

Am Abend kniete Rondella vor ihrem Schutz­engel, erzählte auch ihm das Erlebte, und statt Kopf­klopfen küsste sie ihn auf seine Wangen und Flügel – zehn Mal, zehn Abende. Und Oma ließ sie dabei – ohne Kommen­tar.

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