|
|
|
Die Mutter der Kinder entpuppte sich auch als ein Kapitel für sich. Hausfrauenpflichten und Muttergefühle blieben ihr fremd. Erst nach elf Uhr vormittags erwachte sie. Dann rief sie nach Zenobia, dem Stubenmädchen, und erkundigte sich nach dem Wetter. Die Fensterläden des Schlafzimmers zur Veranda hin wurden geöffnet und – egal, ob Sommer, Winter oder Regenwetter – die Sonne schien herein. Die bunten Fensterscheiben tauchten die Veranda in optimistisches, farbenfrohes Licht. Lilly sprang aus dem Messingbett, warf ihr Batistnachthemd in eine Ecke und lief, nackt und barfuß, springend ins Bad. Daran hatte man sich auch schnell gewöhnt. Sie musste das Speisezimmer, einen großen Flur und die Küche durchqueren. Hier aber unterbrach Lilly ihren Weg für kurze Zeit, umarmte Mariuca und fragte sie, was es denn heute zum Mittag gebe. Mariuca antwortete gewöhnlich nicht, sollte der Speiseplan doch eine Überraschung für ihre Hausherrin sein. Das Bad erfrischte Lilly, sie turnte danach ein wenig und ging in die Küche, um zu frühstücken. Täglich nahm sie zwei Tassen Tee mit dem Saft von sechs ausgepressten Zitronen zu sich, außerdem zwei „Mohnkipferln“. Sie unterhielt sich dabei mit Mariuca und Zenobia, hatte dann aber schon einen Bademantel angezogen.
Nach ein Uhr mittags holte Lilly ihren Gatten Silviu von seinem Büro ab. Bis dorthin musste sie einen langen Weg laufen, denn sein Amt war ungefähr zwei Kilometer von zuhause entfernt.
Auch den Rückweg traten beide zu Fuß an, um ihren täglichen Bewegungsbedarf zu decken. Am frühen Nachmittag kamen beide wieder zuhause an, und immer wieder bereitete Lilly den Kindern und dem Personal Freude mit einem lustigen Entblößungsspiel, das „Frau Doktor“ (so sprach das Personal sie an) aus purem Übermut erfunden hatte: Hut, Handschuhe und Mantel warf sie ab, wo sie gerade stand, ihre Füße entkleidete sie, indem sie bis „drei“ zählte und dann ihre Stiefel oder Schuhe bis zur Decke schleuderte. Lillys Fußfertigkeit dabei war bewundernswert, nie zerschlug sie Lampen oder Fensterscheiben. Nur manchmal blieben an der Decke leichte symbolische Flecken, die vom Wetter und der Sauberkeit der Stiefel oder Schuhe abhingen.
Nachmittags aßen die Eltern allein im Speisezimmer. Rondella und Bobby lagen um diese Zeit schon in „Morpheus Armen“. Nach ihrer Mahlzeit begann Lilly, Klavier zu üben, ungefähr vier bis fünf Stunden. Am Abend declamierte sie Gedichte und verschiedene Passagen aus Theaterstücken, meist Dramen. Weil der mittägliche Fußweg den Eltern offenbar noch nicht reichte, gingen sie abends noch einmal eine Stunde spazieren. Selten legten sie sich vor zwei Uhr nachts zur Ruhe.
Gäste verursachten Lilly so manche Probleme. Sie wurden kategorisiert in „sympathische“ und „unsympathische“ Menschen. Künstler, Professoren und Ärzte repräsentierten die erste Kategorie. Verwandte, Offiziere und Pfarrer bildeten die zweite, die unsympathische Gruppe. Man konnte aber nicht immer nur „sympathische“ Vertreter bei sich haben; ab und zu – meistens an den Feiertagen – kam auch die lieben Verwandten. Offiziere wurden von einer Freundin, Julia, ins Haus geschleust. Sie hatte eine Vorliebe für solch „schöne“ uniformierte Männer mit langen Lackstiefeln, Goldknöpfen, eingecremtem glänzendem Haar und wenig Geist. Und endlich die orthodoxen Pfarrer mit ihren langen Gewändern und ihren langen, weißen Bärten, die dreimal jährlich kamen, um mit Weihrauch, einem Strohpinsel Weihnachtsbespritzungen mit geweihten Wasser und so nacheinander alle Räume des Hauses zu segnen, den Satan zu verjagen und dafür ein gutes Trinkgeld zu erhalten. Während dieser Show versteckte sich Lilly auf der Toilette. War diese aber schon besetzt, kroch sie, wie Hozu, unters Bett. Um die für Lilly fürchterliche Atmosphäre zu bereinigen, wurden nach dem Besuch solcher unerwünschter Menschen alle Fenster weit geöffnet und die Türklinken mit alkoholimprägniertem Klosettpapier abgewischt. Rondella musste hier auch mithelfen, ungern und gezwungenerweise.
Bobby war für diese Arbeit nicht zu gewinnen; er war kategorischer als Rondella und sagte zu Lilly nur: „Mama, Du bist verrückt. Lass mich in Ruhe, ich muss zeichnen und Tiere aus Plastellin formen.“
|
|