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Oma Stefanie wurde immer kränker. Ein schweres Leberleiden quälte sie, die fast den ganzen Tag im Bett bleiben musste. Doch von hier aus dirigierte sie den ganzen Haushalt. Sie sprach mit Olga und Mariuca das tägliche Menü ab, rührte im Bett sitzend Zutaten für Torten und häkelte und strickte trotz ihrer Erblindung. Für die kleine Rondella entwarf sie die originellste Decke, die je existierte. Aus weißem Baumwollgarn häkelte sie kleine Deckchen, 10 mal 10 Zentimeter groß. Sie wurden mit blauem Garn von Teta zu einer Decke zusammengenäht. Dann schrieb Oma für Rondella ein Gedicht: Kleines, mit neuen Schuhen gehst Du auf die Straße, willst gesehen sein und beachtet in allerhöchstem Maße, ganz vorsichtig trittst Du, nur auf die Spitzen denn Du möchtest sie allzeit makellos besitzen.
Doch siehst Du auf Ihnen dereinst einen Flecken, gehst Du fortan ohne Acht, ohne Schrecken. Weißt Du, mein Kindchen, mit der Seele ist es gleich, drum halte bedachtsam sie rein und reich. Dieses Gedicht nähte nun Teta mit blauem Garn in die weißen Felder der Decke, ein Wort in jedes Feld. So träumte Rondella süß unter der speziell für sie komponierten lyrischen Decke.
Nachmittags schlief „Omama“ ungefähr eine Stunde. In den warmen Monaten legte sie sich in einen Schaukelstuhl in einer der beiden Veranden, wo sie frische Luft atmete und dem Gesang der Vögel lauschte. Zum Kaffee kamen meistens Menschen zu ihr, um sie um Rat und Tat zu bitten. Es waren Schulkollegen, Professoren, Künstler, Arbeiter und Bauern. Alle empfing sie liebevoll und hörte jedem interessiert zu. Dann verließen sie sie – reicher und optimistischer.
Abends waren die Stunden der Erholung und der geistigen Arbeit. Stefanie spielte Klavier, dichtete und hörte einer Dame zu, die engagiert wurde, um ihr vorzulesen. Sie war über kulturelle und politische Ereignisse bestens informiert.
Mit ihrer ganzen Hingabe und Liebe wandte sie sich Rondella zu, die Kleine war die Erfüllung ihres Lebens. Sie hatte aber ganz große Sorgen um Rondella. Sie spürte, dass sie nicht mehr allzu lange leben würde und dass Rondella, von ihren Eltern vernachlässigt, ohne Liebe aufwachsen müsse. Das aber einem siebenjährigen Kind zu schildern, fiel der alten Dame sehr schwer. So erzählte sie Geschichten und flocht dazu geschickt Tatsachen aus ihrem wahren Leben ein, die Rondella in der Zukunft helfen mochten.
So begann eine Geschichte damit, dass ein armes Elternpaar als Geschenk vom Storch ein Töchterchen bekam. Sie konnten sie kaum ernähren – so arm waren die beiden. Auch hatten sie keine Zeit, sie zu liebkosen oder zu verwöhnen, denn sie mussten den ganzen Tag schwer arbeiten. Das Töchterchen spielte im Sandkasten, freute sich über die Blumen und die Schmetterlinge, wurde größer und ging zur Schule. Sie lernte fleißig und wurde später Lehrerin, verdiente ihr eigenes Geld und verließ zufrieden ihr Elternhaus.
Rondella hörte aufmerksam zu, und die Idee, das Elternhaus zu verlassen, lachte ihr entgegen. Ob sie allerdings auch mit dem fleißigen Lernen einverstanden sein würde, wird später ersichtlich werden.
Im Allgemeinen war sie ein gutmütiges und relativ artiges Kind, liebte Gesellschaft, das Tanzen, Musik und die Handtaschen der Damen. An den Abendempfängen ihrer Eltern war sie selig. Ungefähr eine Stunde lang durfte sie auch an der Gesellschaft teilhaben. Sie setzte sich immer gleich auf den Schoß der schönsten, jüngsten, geschminktesten und geschmücktesten Dame. Mit ihren Händchen begann sie, die langen, glitzernden Ohrringe zu betasten, dann das Collier, die Ringe und endlich die Strass-Abendtasche. Sie wurde von Rondella sorgfältig geöffnet, dann Rouge, Puder und Lippenstift entnommen, und hiermit ging sie in den Grünen Salon. Vor dem großen Kristallspiegel begann ihre Kosmetik. Ihr Traum war es, groß zu sein, hohe Absätze zu tragen, sich mit viel Schmuck zu behängen und sich die Lippen purpurrot zu schminken.
Leider musste sie sich aber bald von den Gästen verabschieden, um in ihr Bettchen zu wandern. Teta holte sie ab. Nach solch einem Abend aber schlief Rondella nicht so tief wie sonst. Sie schmiedete in ihrem Köpfchen wieder einen Plan. Zu gern nippte sie Alkohol. Täglich bekam sie einen Löffel Rotwein zur Stärkung – nur einen Löffel. Sie war auf den Geschmack gekommen und wollte mehr von diesem Elixier, So stand sie nachts auf, schlich barfuß, auf Zehenspitzen ganz vorsichtig ins Speisezimmer und in den Salon. Die meisten Gläser enthielten noch etwas Wein. Rondella griff sich Glas für Glas und leerte alle. Dann taumelte sie glücklich, von niemandem gesehen, in ihr Bettchen zurück. Nur schwer war sie am Morgen wachzubekommen.
Gefräßig war die Kleine auch. Sie naschte die ganze Zeit; man sah sie auch auf der Straße beim Spazierengehen nie an Tetas Hand. Ihre Händchen waren aber auch nie frei. In der Rechten hielt sie ein Butterbrot, und die Linke führte eine große, weiche Birne zum Mündchen. Der Birnensaft floss über ihre runden Bäckchen, verstopfte ihre Nasenlöcher und rutschte in ihr rundes, wohlgenährtes Décolleté bis zum Nabel. Schürzchen wollte Rondella nie tragen – dazu war sie viel zu eitel. Ihre hübschen Kleider, die man für sie aus Wien bestellte, waren gleich voller Saft- und Fettflecken.
Bis zum Schulanfang hatte Rondella keine Freunde. Ihr liebster Spielkamerad war ihre geliebte „Omama“. Rondella verkleidete sich gerne mit alten Sachen ihrer Mutter. Ein violetter Morgenrock mit einem breiten schwarzen Gürtel, Lackschuhe mit hohen Stöckeln, Federhüte und Pompadours mit Puderquaste und Parfum – so erschien sie zum Fünf-Uhr-Tee bei ihrer Oma Stefanie, der Frau Direktorin. Man hörte die Kleine schon von weitem in den viel zu großen Stöckelschuhen auf dem gebohnerten, knarrenden Parkett. Merkwürdig war, dass Rondella immer die arme Frau spielte. Sie erzählte ihrer „Frau Direktorin“, dass sie die Frau eines Holzhackers sei und fünf Kinder habe, die sie kaum ernähren könne. Mitleid erwecken und Hilfe erhalten fand sie schöner als das problemlose Leben der Reichen.
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