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Große Freude bereitete die weihnachtliche Bescherung! Von ihrer Tante Grete bekam Rondella eine Puppe aus Wien geschenkt, eine wunderschöne große Puppe mit goldblonden Locken und einem rosa Tüllkleidchen mit vielen Rüschen. „Mama“ konnte sie auch sagen.
Rondella freute sich über diese Überraschung, doch wieviel schöner wäre es gewesen, hätte sie einen „Jungen“ bekommen. Ob man nicht eine Veränderung vornehmen könnte, um diese „Schande“ zu beseitigen?
In dieser delikaten Situation eilte ihr ein guter Geist zur Hilfe. Schnell hüpfte Rondella in die Veranda (Rondella ging nie, sondern hüpfte, auch auf der Straße), wo sich hinter einem Vorhang viele Koffer und Hutschachteln ihrer Mutter befanden. In einer der Schachteln fand sie verschiedene Lederhandschuhe, die Lilly bei ihren Konzerten trug - weiße und schwarze dreiviertellange Glacéhandschuhe feinster Qualität.
Mit einer scharfen Schere schnitt Rondella den Daumen eines schwarzen Handschuhs ab. Über ihre Tat entzückt, schritt sie sogleich zur Operation. Sie zog ihre Puppe aus und versuchte, mit Spucke den schwarzen Glacé-Daumen zwischen den Beinen festzukleben. Die Spucke klebte aber nicht. Da Rondella auch viel in der Küche spielte und beim Kochen und Backen gern zuschaute, erinnerte sie sich, dass man eine Klebmasse aus Teig und Wasser herstellen kann. Von Klebstoff „Uhu“ war damals noch keine Spur. Auf einem Schammerl streckte sie sich empor bis zur ersten Schublade der Küchenkredenz, wo sich das Mehl befand. Ein Löffel Mehl und viel Spucke genügten, um die Umwandlung zu vollziehen.
Nun ist es geschehen - der Daumen klebt ganz fest, er ist groß und schwarz, jeder kann ihn wahrnehmen. Er sticht bewusst ab.
Das Tüllkleidchen zog Rondella der Puppe doch an, denn sie hatte keine Auswahl. Die Puppe hieß „Lola“. Ihre Tat verriet sie vorläufig niemandem, denn sie hatte weitere Pläne.
Am 6. Januar 1926 bereitete man alles für die große orthodoxe Taufe des Brüderchens vor. Der Erzbischof zelebrierte sie. Zwei
Minister, Hochschulprofessoren, waren die Taufpaten, und viele, viele Gäste wurden eingeladen.
Im grünen Rokoko-Salon fand das Ritual statt. Man brachte einen großen, versilberten Kessel, füllte ihn mit ungefähr zehn Litern kaltem Wasser und stellte ihn auf den grünen Perserteppich mitten in den Salon. Um acht Uhr abends sollte die Feier beginnen. Die Gäste fanden sich in Abendgarderobe ein - die Damen in langen Seiden-, Samt- und Brokatkleidern, die Herren in Frack und Smoking.
Zehn Minuten nach acht erschien der Erzbischof. Würdig, mit erhobenem Kopf, betrat er das Zimmer. Er blitzte von allen Seiten. Seine lilaviolette Veloursmütze, die ungefähr einer Kochmütze glich, saß fest auf seinem Kopf und rutschte bis zu den Augen herunter. Seine buschigen, graumelierten Augenbrauen verhinderten ihr weiteres Heruntergleiten. Unter den strahlenden Augen ragten zwei wohlgenährte, rosarote Bäckchen hervor, aus denen in der Mitte eine kleine Stupsnase emporguckte. Sein ganzes Gesicht war von weißgrauem, gekräuseltem Haar umringelt, das sich als Bart bis fast zum Nabel in verschlingenden Zipfeln fortsetzte. Zwischen diesem zottligen Lockenwirrwarr blitzten, wenn immer er sich bewegte, die glitzernden Steine eines immensen Kreuzes. Sein Festgewand war aus langer, schwerer Seide und floss aus seinem dicken Körper bis zum Fußboden herunter. Es war in Rot, Silber und Gold mit Motiven aus dem Paradies bestickt, und weiter unten mit Symbolen der Hölle. Die Schuhe verschwanden unter seinen Röcken. Ein Sekundant, ein armer Kirchendiener, brachte ihm vier Meter lange, silberne Kerzenleuchter mit, die er neben dem Taufkessel hinstellte.
Bobby wurde nackt in den Armen von Luise hereingetragen. Er war ein süßes, pummliges Baby. Verwundert und erschrocken blickte er in die Menschenmenge. Man gab das Baby in die großen, plumpen Hände des Erzbischofs. Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes tauchte man das Opfer dreimal in das kalte Wasser, und er bekam den Namen „Silviu“. (Man rief ihn später aber meist „Bobby“.)
Er schrie wie am Spieß, und nach dem dritten Eintauchen wurde er schnell in Frottéetücher gepackt, um eine eventuelle Lungenentzündung zu vermeiden. Das war aber noch nicht alles. Der Erzbischof nahm eine Schere und schnitt Bobby eine seiner Locken ab.
Das „barbarische“ Zeremoniell beeindruckte Rondella sehr. Was mit dem Entfernen seiner Locke bewirkt werden sollte, wissen die Götter. Andachtsvoll standen die Gäste samt Erzbischof und betrachteten den Kessel, die Leuchter und das schreiende Baby.
Rondella verschwand, doch sie kam gleich wieder zurück in ihrem rosa Taftkleidchen mit der großen Schleife im Haar. In ihren Armen hielt sie die nackte Lola mit dem markanten Kennzeichen, das nicht gerade allzu gut zum Alabasterkörper von Lola passte. Aber man sah deutlich ihr - oder sein - starkes Geschlecht.
Eine Unruhe entstand in der befangenen Versammlung. „Lieber Herr Erzbischof, bitte taufen Sie meine Puppe Lola, die ich in einen Jungen verwandelt habe, auf den Namen ‚Peter‘. Eine Locke schneiden Sie ihr aber bitte nicht ab.“
Einen Moment lang herrschte Stille. Dann tauchte der Erzbischof die Puppe dreimal in das Wasser. Die Gesellschaft atmete erleichtert auf, man lachte herzlich und viele Gäste umarmten Rondella. Gegen zwei Uhr nachts endete die Feier. Die Gäste verließen amüsiert, gut genährt und mit erzbischöflichen Segen das Haus Dimitrovici. Die Familie und das Hauspersonal legten sich zur Ruhe.
Um vier Uhr morgens aber wurden alle durch klirrendes Getöse aus dem Schlaf gerissen. Die Fensterscheiben zerbrachen auf der ganzen Frontseite des langen, weißen Hauses. Als man voller Angst die Holzfensterläden von innen öffnete, verschwanden mehrere Schatten im Dunkel der Nacht. Was war das - so ein Tumult, so ein Schreck nach der schönen Feier?! Baby Bobby, frisch getauft und als neues Mitglied in den Schoß des Christentums aufgenommen, schrie wie in der Hölle.
Am Tage darauf wurde dieses Mysterium geklärt. Professor Dr. Radu Sebari, Professor der Philosophie, war nicht zur Taufe eingeladen worden. Wahrscheinlich war der Arme durch zu großes Wissen und durch zuviel Lernen und zuviel Phantasie zum Außenseiter der Gesellschaft geworden. Er war ein Original. Im strengsten Winter, bei minus 25°C, ging er mit einer grauen Fledermaus-Pellerine ohne Kopfbedeckung durch Czernowitz. Er trug weiße Sandalen und hielt in einer Hand eine Pferdepeitsche. So erschreckte er auf dem Trottoir die Menschen, die ihm auswichen und ihn „Dracula“ nannten. Seine Studenten nannten ihn „den fliegenden Holländer“. Vater Silviu kam auf die Idee, dass er aus Rache die Fenster eingeschlagen haben könnte.
Vor Gericht gab Professor Dr. Radu Sebari nichts zu und wusch seine Hände in Unschuld. Beweise lagen natürlich nicht vor. Niemand hatte ihn um vier Uhr morgens in der Franzensgasse beim Haus Nr. 56 gesehen.
Plötzlich erschienen im Gerichtssaal vier Jungen, zwischen 18 und 20 Jahren alt, mit folgender Aussage: Bis vier Uhr morgens wollten sie in einer Kneipe verbracht haben. Im reichlich angeheiterten Zustand seien sie vor dem Hause Nr. 56 ausgerutscht, auf den „Allerwertesten“ gefallen und hatten mit ihren schweren Stiefeln unwillkürlich die zehn Fensterscheiben durch das Gitter hindurch zerschlagen. Gelächter im ganzen Saal! Silviu, selbst ein Spaßvogel und für jede neue Idee dankbar, begnügte sich aber mit dieser Erklärung und verzichtete auf jeden Schadenersatz. Mit derlei Erkenntnissen verließen das Publikum, der Angeklagte, der Kläger, die Zeugen und die Geschworenen das Hohe Gericht. Silviu hatte aber keine Ruhe, und so wandte er sich am Ausgang den vier Jungen höflich zu: „Mir könntet Ihr doch die Wahrheit sagen, wie sich alles zugetragen hat. Ich werde Euch nicht bestrafen.“
Die Jungen sahen sich fragend an. Der Couragierteste von ihnen erklärte: „Dr. Sebari bezahlte uns ganz schön. Wir konnten dieser Versuchung nicht widerstehen, und mit einem Eisenknüppel schlugen wir Ihre Fensterscheiben kurz und klein.“
Am folgenden Tag erschien die Zeitung mit einer Extra-Ausgabe. „Sensation! Bei Taufe des Sohnes von Dipl.-Ing. Dr. Silviu Dimitrovici wurde auch die Puppe des Töchterchens getauft und nachts alle Fensterscheiben des Hauses von Unbekannten eingeschlagen. Rache, Rache.“ Die Blätter wurden verkauft wie warme Semmeln.
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