Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Episode aus dem Roman „Genunea. Czerno­witz liegt nicht nur in der Buko­wina“

Bobbys Geburt

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Das Jahr 1925 brachte der Familie eine neue Panne: die Geburt des Sohnes Bobby. Die beab­sichtige Abtreibung konnte nicht stattfinden. Vor dem Eingang der Arzt­praxis erschien plötzlich, wie aus dem Boden, ein orthodoxer Pope. Ein furcht­bares Zeichen für Lilly, genau wie vier Jahre zuvor die schwarze Katze, und sie ver­zichtete auch diesmal auf die Abtreibung. Da Bobby aber ein Junge war, nahm man sein Erscheinen nicht so tragisch, ja, prahlte sogar mit ihm.

Rondella hatte gerade ihr viertes Lebens­jahr erreicht. Luise brachte sie am Morgen des 17. Juli 1925 ins Schlaf­zimmer ihrer Eltern. Lilly lag blass mit ihrem offenen, langen, blonden Haar im Messingbett. In ihrem rechten Arm konnte man das kleine Wunder erkennen, eine rotbraune Puppe mit langen, schwarzen Wimpern und nicht allzu zu­frie­denem Gesicht­chen. Lilly gab Rondella die Hand und sagte ihr, dass der Storch ihr ein Brüderchen geschenkt habe. Rondella war beglückt.

Es geschah etwas in ihrer kleinen Seele, das sie noch nicht ganz erfassen konnte. Ein Gefühl der Freude, der Liebe und des Nicht-mehr-Allein­seins erfüllte sie. Sie besitzt ein Brüderchen! Ein Brüderchen, das ihr gehört, das viel kleiner ist als sie, viel schwächer, und das ihre Liebe, Sorge und Hilfe braucht. Sie dachte nicht an einen Spiel­gefähr­ten, sondern ein ganz bewusstes Mutter­gefühl, so komisch es auch klingen mag, stellte sich bei ihr ein. Nun hatte ihr Leben einen Sinn: sie wird seine „Mutti“ sein. So lachte sie und sprang um das Bett herum. Wie stolz die kleine Schwester auf ihn war! Ein strammer Junge, und nicht, wie sie, „bloß“ ein Mädchen. Diese natürliche Reaktion ent­sprang den traurigen Erfah­rungen ihres kurzen Lebens. Schmerz­lich vermisste sie die Liebe ihrer Eltern.

Rondella lauschte oft den Gesprächen des Perso­nals in der Küche, und eines Tages ver­steckte sie sich bitter weinend in ihrem Zimmer, nachdem sie erfahren hatte, wie enttäuscht ihre Eltern wegen ihr waren. Zwar wurde sie von ihrer guten „Omama“ mit viel Liebe und Hingabe verwöhnt und erzogen, doch in ihrem kleinen Köpfchen tauchte der Gedanke des Todes auf. Großmutter, blind und alt, würde sicherlich bald sterben und Rondella allein in dieser Welt zurücklassen. Der Gedanke war grausam für sie, bis ihr dieser 17. Juli das Glück – ihr Glück, ein Brüderchen, brachte.

Ihrer Mutter Lilly schenk­te der Vater Silviu einen Brillantring. Als Rondella auf die Welt gekommen war, hatte er das Geschenk ent­sprechend be­schei­dener ausgewählt – ein fein gewebtes Silbertäschchen, und darin ein lang­beiniger Silber­storch, der in seinen Flügeln je ein Baby ver­steckt hielt und als Zucker­zange diente.

Nach der Geburt des kleinen Stamm­halters hüllte sich das Haus in Glück und Opti­mismus. Groß­mutter Stefanie bemerkte die günstige Metamorphose ihrer kleinen Rondella und wurde zuver­sicht­licher. Oft schaute Rondella mit größtem Inte­resse zu, wenn ihr kleines Brüder­chen gestillt, gebadet und gewickelt wurde. Sein Weinen aber stimmte sie traurig, und sie wusste nicht, was ihm zu geben, um den großen Schmerz zu lindern.

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