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1927 fuhr die Familie in den Sommermonaten über Österreich nach Italien. Die Fahrt bis Wien, die vielen Stunden im Schlafwagen, vergingen sehr langsam. Lediglich Teta freute sich auf ihre Eltern in Wien, bei denen sie den ganzen Urlaub über verbleiben durfte. Im exklusiven Wiener Hotel „Erzherzog Karl“ auf der Kärntner Straße waren zwei Zimmer bestellt worden. Es war ein großes, freundliches Hotel ganz in der Nähe des Stephansdoms. Dort wollte die Familie nur wenige Tage bleiben, um die lieben Verwandten zu besuchen und sich für die anstrengende Weiterfahrt nach Riccione vorzubereiten, schon damals ein eleganter Badeort. Da Teta in Wien verblieb, mussten sich die Eltern für die weitere Urlaubszeit nach einer anderen Kinderpflegerin umsehen. Nach langem Suchen fanden sie die ältere, magere, sehr kurzsichtige Schwester Erhard. Sie war nicht gerade ein Schönheitsideal, ihr ganzes Leben war sie nur bei adligen Familien tätig. So war ihr Gehabe komisch und merkwürdig, weil sie nicht einsehen mochte, dass sie jetzt in einer Familie arbeitete, die kein „Von“ im Namen trug. Sie redete die Eltern gewohnheitsgemäß mit „Durchlaucht“ und „Excellenz“ an.
Rondella und Bobby begannen bitter zu weinen, als Teta sie verließ und die wahrlich hässliche Schwester Erhard sie übernahm. Der Name Rondella gefiel ihr nicht, sie nannte das Mädchen „Gretchen“.
Nach wenigen Tagen wurde Bobby krank. Er glühte, hatte hohes Fieber. Sofort rief man Dr. Monte, den Chefarzt des Kinderkrankenhauses. Er konnte keine Diagnose treffen, und auch Tabletten vermochten nicht, das Fieber zu senken. Schwester Erhard stellte dann beim Baden fest, dass sichunter Bobbys rechten Arm in der Achselhöhle eine große Geschwulst gebildet hatte. Bobby hatte sich wahrscheinlich auf der Fahrt infiziert und musste nun sofort operiert werden. Ein dicker Eiterbeutel wurde entfernt. Dadurch verschob sich die Reise nach Italien, und in der Familie herrschten Unruhe und Sorge.
Nur Rondella kam auf ihre Kosten. Nachdem sie sich bei den Eltern versichert hatte, dass ihr Brüderchen nicht sterben müsse, nahm sie ihr Leben in ihre kleinen Hände und trachtete danach, sich allein zu amüsieren. Wien war für sie ja schon sehr attraktiv. Mit Tante Grete ging sie zweimal in den Prater. Auch die großen, übervollen Spielwarengeschäfte imponierten ihr. Was Rondella aber ganz besonders beeindruckte, war der Lift mit den Liftboys in ihrem Hotel. So zog sie wieder die Kleider ihrer Mutter an, Stöckelschuhe, Voile-Schals um den Hals und Kopf – und fuhr den ganzen Tag mit den Lifts hinauf und hinunter. Als sie den ersten Tag in dieser Toilette vor dem Hotelpersonal erschien, erschrak es förmlich. Die Kleine aber hatte so eine besondere Gabe, sich einzuschmeicheln und beliebt zu machen, dass man sie weiter hinauf und herunterfahren ließ. Natürlich hatte man die Eltern gefragt, ob sie nichts dagegen hätten. Sie hatten es erlaubt und der Liftboy ihnen versichert, dass Rondella nichts passieren könnte. Er war ein Junge von vielleicht fünfzehn Jahren in der khakifarbenen Uniform der Liftboys. Schwester Erhard hingegen war über die „Durchlaucht“-Eltern empört. Das ganze Hotel kannte die komische Kleine aus Rumänien. Man bot ihr Süßigkeiten an und verwöhnte sie, wie es nur ging. Schlimm aber wurde es eines Tages, als Rondella allein versuchte, mit dem Lift davonzufahren. Der Liftboy war nur einen Augenblick abwesend. Rondella stieg ein mit ihrer kompletten Theatergarderobe. Der lange Schal wurde zwischen den Türen der Aufzugskabine eingeklemmt. Nachdem Rondella auf einen Knopf gedrückt hatte, fuhr der Fahrstuhl eine Weile und blieb dann zwischen zwei Etagen stehen. Rondella war außer sich und begann, um Hilfe zu schreien. Sie weinte so laut, dass sich das Personal und viele Hotelgäste in der Empfangshalle versammelten, um sie zu retten. Alle hatten sie lieb. Nachdem man sie aus dem Aufzug befreit hatte, glaubte man, Rondella würde in Zukunft wohl auf diese Vergnügen verzichten. Doch am nächsten Morgen fand sie sich pünktlich wieder bei ihrem kleinen Liftboy ein und gondelte wie gehabt umher.
Vis-à-vis vom Hotel befand sich ein ganz exklusives Spielwarengeschäft. Rondella kokettierte schon lange mit dem Gedanken, dort in Ruhe ein paar Stunden zu verbringen, denn man kannte sie schon von Einkäufen mit ihrer Tante Grete. Die komplizierteste Angelegenheit war für Rondella, die Straße zu überqueren. Das lange Kleid, die hohen Stöckelschuhe und die flatternden Voiles... sich so zwischen den vielen Autos hindurchzuzwängen, war nicht gerade leicht – eine Kunst für sie. An Mut und Abenteuerlust fehlte es Rondella aber nicht. Eines Vormittags, sie hatte schon einige Touren mit dem Lift absolviert, gelang es ihr, die belebte Straße zu überqueren. Im eleganten Spielwarengeschäft angekommen, sahen die Menschen die Kleine verwundert an. Dies aber störte Rondella nicht im geringsten. Ein Verkäufer nahm sie an die Hand und führte sie in die größte Abteilung. Rondella setzte sich auf den Boden, man führte ihr verschiedene Spielzeugtiere und -fahrzeuge vor, und sie fühlte sich wie im Paradies. Das Personal des Geschäfts machte sich keine Gedanken, da man wusste, wo die Kleine wohnte. Zwei Stunden vergingen. Plötzlich erschienen zwei Polizisten mit großen Franz-Joseph-Schnurrbärten, nahmen das Kind an die Hand, schimpften mit den Verkäufern und verließen das Geschäft. Im Hotel bekam Rondella von ihrem Vater Prügel, die sie lange nicht vergessen konnte.
Der kleine Bobby wurde gesund, und man konnte die Weiterreise nach Riccione antreten. Ein schrecklicher Ort – das Hotel nicht halb so schön wie das „Erzherzog Karl“ in Wien, und, welche Schande, es besaß auch keinen einzigen Lift! So kam Rondella eines Tages ins Hotelzimmer der Eltern und fand dort völlig fremde Menschen! Vor Schreck schrie sie und weinte, man beruhigte sie, nahm sie an die Hand und brachte sie in das Zimmer ihrer Eltern – sie hatte sich in der Etage geirrt. Die Hitze war so groß, dass die ganze Familie inklusive Schwester Erhard einen eitrigen Sonnenstich bekam, obwohl man sich stets nach ärztlicher Vorschrift nicht zu sehr der prallen Sonne aussetzte. Die Sprache verstand man auch nicht. Rondella und Bobby riefen weinend den ganzen Tag „Zurück zur Omama nach Czernowitz!“ Weil das Hotel aber lange vorbestellt worden war, musste die Drei-Wochen-Kur durchgehalten werden. Schwester Erhard trug wegen ihrer starken Kurzsichtigkeit einen Zwicker auf ihrer langen, spitzen Nase. Den verlor sie im Sand, und bis sie vom Optiker einen passenden neuen bekam, der von Neapel bestellt werden musste, taumelte sie wie eine blinde Kuh herum. Das war der einzige Spaß der Kinder.
Endlich fuhr die Familie, schwarzgebrannt, von Riccione in die österreichischen Alpen, auf den Semmering bei Wien. Das Hotel „Panhans“, in dem Rondella, Bobby und Schwester Erhard wohnten, lag sehr schön auf einer Anhöhe, hatte komfortable Zimmer – doch wieder keinen Lift!
Die Eltern reisten nun nach Kairo, und so blieben die beiden Kinder drei lange Wochen nur mit der „Excellenz-Zwicker-Schwester“ zurück. Es war keine schöne Zeit. So atmeten sie erleichtert auf, als sie die Eltern und Schwester Lilly, genannt Teta, nach dieser langen Zeit wieder am Wiener Bahnhof empfingen, um nach Czernowitz zurückzukehren.
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