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Das Telefon klingelte. „Liebe Frau Musculus, der FDGB bekommt einen Gast aus Dahomey, Afrika. Ich bitte Sie, für unsere kranke französische Dolmetscherin einzuspringen. Es sind im ganzen sechs Tage, drei davon in Berlin und drei in Dresden. In Schönefeld werden wir unseren Gast abholen.“
...
Vor uns stand der Dunkelhäutige in seinem weißen, flatternden Gewand und begrüßte uns freundlich mit den Worten „Ich bin glücklich, dass ich in Bonn gelandet bin.“ „Nicht doch“, unterbrach ich ihn etwas verlegen, „Sie sind in Berlin, in der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik.“ „In Berlin? - Na gut,“ meinte er, „so kann ich gleich das Haus von Willy Brandt besichtigen.“ Die Gewerkschaftsfunktionäre wurden blasser und blasser. Schweren Herzens musste ich ihm klarmachen, dass wir Willys Haus nicht besichtigen durften, eine Sache, die er schwer verstand. Wir fuhren ins „Interhotel Stadt Berlin“. An der Rezeption bekam er das bewusste Anmeldeformular. Schnell gab er es mir, denn er wusste damit nichts anzufangen; er sei doch Analphabet. Seinen Namen nannte er deutlich, sein Geburtsjahr hingegen kannte er nicht. Die Rezeptionsdame wollte diese Merkwürdigkeit nicht einsehen und bat mich, ihm doch zu erklären, wie nötig für sie sein Alter sei. Der arme Neger wurde ganz nervös, und mit erhobener Stimme meinte er: „Schreib' doch 'zwischen 30 und 50 Jahre'!“ Die Hotelangestellte würdigte uns keines Blickes, nahm das Formular, und verächtlich gab sie ihm einen Zimmerschlüssel.
Es war Ende Oktober, und die Temperaturen in Berlin waren nicht die von Dahomey. Der Gast machte sich im Zimmer frisch und kam, in seinem Flattergewand zitternd, in die Hotelhalle. Der Spaziergang durch das Stadtzentrum amüsierte ihn nicht im geringsten. Ich erklärte ihm das neuerbaute Wohnviertel und die „Errungenschaften des Sozialismus“. Seine Zähne aber klapperten so heftig vor Kälte, dass die FDGB-Funktionäre sich entschlossen, ihn einzukleiden. Im „Centrum-Warenhaus“ suchte er sich einen schönen dunkelblauen Anzug, dazu einen passenden Mantel und ein Paar schwarze Schuhe aus. Erwärmt und glücklich besuchten wir am Abend die Komische Oper. Die Musik beruhigte ihn so sehr, dass er immer wieder einschlief und sein schwarzer Lockenkopf öfters auf meine linke Schulter fiel. Am nächsten Tag fand eine Arbeitsbesprechung beim FDGB statt. Die dortigen Probleme, die „sozialistischen Meinungen“ und die „Kampfbereitschaft“ ließen ihn völlig unbeteiligt. Bei ihm zu Hause in Dahomey gebe es in der Gewerkschaft wegen der großen Hitze keine Probleme; alles erledige sich von selbst. Er aber habe ein ganz anderes Anliegen, das viel wichtiger für ihn sei: Plötzlich wandte er sich mir zu und fragte mich energisch „Sag einmal, wozu eigentlich bist Du engagiert? Was soll ich mir Dir machen?“ „Ich bin Ihre Dolmetscherin und muss die Gespräche zwischen Ihnen und Ihren deutschen Kollegen übersetzen. Nachmittags gehen wir spazieren, besuchen Museen und am Abend, wie gehabt, die Theater.“ „Das ist alles? Du bist also nur am Tag für mich da?“ „Ja, natürlich.“ „So natürlich ist das gar nicht, den ich, ich brauche für jede Nacht eine Frau. Wo sind denn die Frauen - ich möchte sie gleich kennenlernen.“
Wir unterdrückten unser Lächeln, und ich erklärte ihm, dass es für die Nächste keine Frauen gebe in der Deutschen Demokratischen Republik. „Gut“, meinte er, „dann gehe ich auf den Markt und werde mir ein paar kaufen; für jede Nacht eine andere; es sind noch fünf Nächte, also fünf Frauen.“
Nur schwer konnte er begreifen, dass es keinen Frauenhandel gibt und auch nicht die Häuser, in denen sich die Frauen befinden, da „wir die Ausbeutung von Menschen in unserer Republik nicht zulassen“. Notgedrungen musste er auch die zweite Nacht allein verbringen.
Am nächsten Tag kam er geknickt etwas später zum Frühstück, schaute mich charmant an und sagte: „Ich bitte Dich innig, komm' doch diese Nacht auf mein Zimmer. Sonst werde ich krank.“ „Das kann ich nicht. Ich bin verheiratet und liebe meinen Mann.“ „Du kannst ihn ruhig weiter lieben“, antwortete er überzeugt, „ich will doch Eure Ehe nicht zerstören. Ein paar Nächte mit mir sind doch keine Sünde. Du wirst es nicht bereuen, ich gebe Dir dafür zehn Dollar. Die habe ich aber nicht bei mir. Ich schicke sie aus Dahomey aus dem Busch an Euren FDGB mit dem Vermerk 'Honorar für die Nachtdienste der Dolmetscherin Frau Musculus'“. Dann nahm er meine Hände und schrie wie in Extase: „Votre peau, votre peau, peau, peau!“ „Um Gottes Willen!“, riefen die deutschen Funktionäre, „wenn er Ihre Hände jetzt schon mit Ihrem Po verwechselt, ist er vollkommen durchgedreht“ (sie wussten nicht, dass „peau“ französisch ist und „Haut“ bedeutet). Natürlich wurde für die Weiterfahrt nach Dresden ein anderer Dolmetscher engagiert, männlichen Geschlechts. Was ihm blühte, weiß ich nicht - man kann es ja auch nie wissen. Nach dieser so peinlichen Angelegenheit blieb ich psychisch, physisch und erotisch total zerstört. Kein Psychiater kann mir helfen. Vielleicht erfahre ich die Adresse von dem Missetäter aus Afrika, um eine monatliche Wiedergutmachung zu beanspruchen. Ich hoffe, dass auch Sie für meinen so tragischen Zustand Verständnis zeigen und mich großzügig unterstützen. Ich bedanke mich dafür.
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