Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Episode aus dem Roman „Genunea. Czerno­witz liegt nicht nur in der Buko­wina“

Die venezianische Lampe

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Lilly und Silviu fuhren zur Ab­wechslung immer wieder einmal nach Venedig, und einmal brach­ten sie von dort eine hand­gemal­te vene­ziani­sche Glas­mosaik­lampe für den grünen Salon mit. Die Besonder­heit dieses Prachtstücks lässt sich in Worten nicht schil­dern. So bat Silviu Lilly inständig, ihre Schuhe und Stiefel­chen wo auch immer, nicht aber im Salon auszu­ziehen – auch wenn er ihre Schuh­auszieh-Schleuder­technik schätzte.

Professor Doktor Florin Batulescu, ein Familien­freund, wollte als erster das Kunst­werk aus Venedig be­wun­dern. Lilly war gerade von einem Spaziergang zurückgekehrt und fand im Salon, ange­nehm über­rascht, Florin, der mit erhobenem Haupt den Wunder­leuchter be­staun­te. Eilig legte sie ihren Mantel ab. Florin bat sie noch, ihr Schuh­werk diesmal nicht, wie üblich, an die Salon­decke zu proji­zieren. Doch gerade jetzt wurde Lilly gereizt, hob das Bein, zählte bis „drei“, und der Schuh flog direkt auf die Lampe zu. Die Schale bekam einen Sprung, den man aber wegen der kleinen farbigen Mosaik­steinchen glück­licher­weise nicht sah.

Dann umarmte Lilly Florin und führte ihm auch ihren neuen Modell­mantel aus Rom vor, der fast so be­son­ders aussah wie der Luster: ein enger hell-lila Samt­mantel, der sich von der Taille abwärts zur Glocke formte. Er war vorne kurz und wurde hinten länger und länger. Ein hell-beiges Fell um­rande­te den Saum, ein großer Kragen und ein Muff aus dem glei­chen Pelz erwärmten Lillys Bäckchen und ihre Hände. Die Leute sahen sich um und nickten bei ihrem Auf­tritt auf der Straße. Man konnte leise ver­nehmen: „Die verrückte Dimi­tro­vici und ein noch verrückterer Mantel...".

Professor Doktor Florin Batu­lescu, Absol­vent der New Yorker Fakul­tät, hatte seinen Lehr­stuhl als Mathe­mati­ker an der Czerno­witzer Hoch­schule. Sein Geist sprühte wahr­schein­lich so viel Wärme aus, dass sein Körper im streng­sten Winter nur wenig Klei­dung benötigte. So ging der 36jährige Florin in einem kurzen, braunen, unge­fütter­ten Mäntel­chen ohne Mütze in Lack­schuhen durch den tiefsten Winter, durch Schnee und Frost, bei minus 30°C - ganz ohne Erkältungs­erschei­nun­gen.

Täglich er­schien er pünkt­lich um sieben Uhr abends bei Familie Dimi­tro­vici, die auch zu seiner Fami­lie wurde. Lilly be­gei­ster­te ihn mit ihrem Klavier­spiel, das ihn lang­sam zur Ent­glei­sung aus seinen mathe­mati­sierten Sphären brachte. Die Klänge ver­folg­ten ihn, und er fredonnierte überall die Melo­dien, in der Uni­versi­tät, auf den Straßen und in den Verkehrs­vehikeln.

Klavier­spielen konnte er nicht, und so wandte er sich seiner Stimme zu. Ein Caruso wollte er werden! Lilly und Silviu beob­ach­teten seine Wand­lung mit großer Besorg­nis; er hörte auf keinen Rat­schlag, sondern war wie von Sinnen und demissionierte sogar von der Fakultät. Seine Stimme ent­sprach seinem un­talen­tier­ten Niveau. Sein Gehör war nur mittel­mäßig. Lilly gab sich mit ihm die größte Mühe; nur sie durfte seine Gesang­lehrerin sein. Täglich wurde viele Stunden lang ohne Erfolg geübt.

Hingegen merkte man eine leichte Neigung zur Demenz - aller Familien­mitglieder! Silviu traute sich nach der Arbeit gar nicht mehr, nach Hause zu kommen. Die Kinder er­warte­ten voller Hoff­nung, dass Florin einmal etwas Be­son­de­res von sich gebe - zum Bei­spiel, beide Schuhe auf einmal an die Decke zu werfen, auf Händen zu gehen - oder wirk­lich Caruso zu kon­kurrie­ren.

Nun suchte die Buka­rester Oper einen Tenor. Voller Zu­ver­sicht fuhr Florin gleich dorthin, um mit seiner Stimme zu prahlen. Niemand konnte den Armen davon über­zeugen, dass weder die Natur, noch viele mühsame Arbeits­stunden ihn zum Opern­star krönen könnten. Die Götter waren nicht auf seiner Seite. Er wurde psy­chisch noch kränker und ent­schloss sich, nach Paris zu reisen. „Man erkennt Künstler selten im eigenen Land. Die meisten werden erst im Aus­land entdeckt“, meinte der Arme. Nach der Pariser Nieder­lage stand er ohne Geld, Stimme und Stim­mung in der Fremde. Seinen Lebens­unter­halt be­stritt er als Butler und Mathe­matik­lehrer in einer kinder­reichen Familie.

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