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Lilly und Silviu fuhren zur Abwechslung immer wieder einmal nach Venedig, und einmal brachten sie von dort eine handgemalte venezianische Glasmosaiklampe für den grünen Salon mit. Die Besonderheit dieses Prachtstücks lässt sich in Worten nicht schildern. So bat Silviu Lilly inständig, ihre Schuhe und Stiefelchen wo auch immer, nicht aber im Salon auszuziehen – auch wenn er ihre Schuhauszieh-Schleudertechnik schätzte.
Professor Doktor Florin Batulescu, ein Familienfreund, wollte als erster das Kunstwerk aus Venedig bewundern. Lilly war gerade von einem Spaziergang zurückgekehrt und fand im Salon, angenehm überrascht, Florin, der mit erhobenem Haupt den Wunderleuchter bestaunte. Eilig legte sie ihren Mantel ab. Florin bat sie noch, ihr Schuhwerk diesmal nicht, wie üblich, an die Salondecke zu projizieren. Doch gerade jetzt wurde Lilly gereizt, hob das Bein, zählte bis „drei“, und der Schuh flog direkt auf die Lampe zu. Die Schale bekam einen Sprung, den man aber wegen der kleinen farbigen Mosaiksteinchen glücklicherweise nicht sah.
Dann umarmte Lilly Florin und führte ihm auch ihren neuen Modellmantel aus Rom vor, der fast so besonders aussah wie der Luster: ein enger hell-lila Samtmantel, der sich von der Taille abwärts zur Glocke formte. Er war vorne kurz und wurde hinten länger und länger. Ein hell-beiges Fell umrandete den Saum, ein großer Kragen und ein Muff aus dem gleichen Pelz erwärmten Lillys Bäckchen und ihre Hände. Die Leute sahen sich um und nickten bei ihrem Auftritt auf der Straße. Man konnte leise vernehmen: „Die verrückte Dimitrovici und ein noch verrückterer Mantel...".
Professor Doktor Florin Batulescu, Absolvent der New Yorker Fakultät, hatte seinen Lehrstuhl als Mathematiker an der Czernowitzer Hochschule. Sein Geist sprühte wahrscheinlich so viel Wärme aus, dass sein Körper im strengsten Winter nur wenig Kleidung benötigte. So ging der 36jährige Florin in einem kurzen, braunen, ungefütterten Mäntelchen ohne Mütze in Lackschuhen durch den tiefsten Winter, durch Schnee und Frost, bei minus 30°C - ganz ohne Erkältungserscheinungen.
Täglich erschien er pünktlich um sieben Uhr abends bei Familie Dimitrovici, die auch zu seiner Familie wurde. Lilly begeisterte ihn mit ihrem Klavierspiel, das ihn langsam zur Entgleisung aus seinen mathematisierten Sphären brachte. Die Klänge verfolgten ihn, und er fredonnierte überall die Melodien, in der Universität, auf den Straßen und in den Verkehrsvehikeln.
Klavierspielen konnte er nicht, und so wandte er sich seiner Stimme zu. Ein Caruso wollte er werden! Lilly und Silviu beobachteten seine Wandlung mit großer Besorgnis; er hörte auf keinen Ratschlag, sondern war wie von Sinnen und demissionierte sogar von der Fakultät. Seine Stimme entsprach seinem untalentierten Niveau. Sein Gehör war nur mittelmäßig. Lilly gab sich mit ihm die größte Mühe; nur sie durfte seine Gesanglehrerin sein. Täglich wurde viele Stunden lang ohne Erfolg geübt.
Hingegen merkte man eine leichte Neigung zur Demenz - aller Familienmitglieder! Silviu traute sich nach der Arbeit gar nicht mehr, nach Hause zu kommen. Die Kinder erwarteten voller Hoffnung, dass Florin einmal etwas Besonderes von sich gebe - zum Beispiel, beide Schuhe auf einmal an die Decke zu werfen, auf Händen zu gehen - oder wirklich Caruso zu konkurrieren.
Nun suchte die Bukarester Oper einen Tenor. Voller Zuversicht fuhr Florin gleich dorthin, um mit seiner Stimme zu prahlen. Niemand konnte den Armen davon überzeugen, dass weder die Natur, noch viele mühsame Arbeitsstunden ihn zum Opernstar krönen könnten. Die Götter waren nicht auf seiner Seite. Er wurde psychisch noch kränker und entschloss sich, nach Paris zu reisen. „Man erkennt Künstler selten im eigenen Land. Die meisten werden erst im Ausland entdeckt“, meinte der Arme. Nach der Pariser Niederlage stand er ohne Geld, Stimme und Stimmung in der Fremde. Seinen Lebensunterhalt bestritt er als Butler und Mathematiklehrer in einer kinderreichen Familie.
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