Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Episode aus dem Roman „Genunea. Czerno­witz liegt nicht nur in der Buko­wina“

Die „heilige Familie“

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Hilde, Zenobia und Coliu führten ihr Leben ohne besondere Ereignisse weiter. Sie konnten die Rück­kehr ihrer Haus­herrin ein­schließ­lich der mit­ge­brachten Sou­ve­nirs aus Stock­holm kaum er­warten. Anders bei Hozu und seinem Compagnion Poussi, die sich immer auf der Hut befanden, ihr Gebiet zu beschützen und dafür mit guter Nah­rung belohnt zu werden. Nach ihrem Prinzip „Jedes Tierchen hat sein Revierchen“ ver­standen sie wohl die vielen Reisen ihrer Herrin Lilly.

Die „heilige Familie“ kehrte wieder heim – Silviu verjüngt, vielleicht als Flegel in seiner Pubertät, Nuni als „Jung­frau von Orleans“, Bobby als „weiser Rabbiner“, Lilly und Jan als glückliches Braut­paar.

Herz­lich wurden sie alle vom Personal samt Hozu und Poussi begrüßt. Die neu­gieri­gen Blicke aller Haus­bewohner durch­bohrten Jan von Kopf bis Fuß und ver­setzten den Armen in Ängste. Bald aber hatte man sich an die neue Situa­tion gewöhnt, und gelassen trug jeder zur Normali­sierung bei. Hozu freute sich sehr mit seinem Frau­chen, zog aber sofort sein Schwänzchen ein, wenn er Jan be­schnupper­te. Er erkannte ihn nicht als seinen Ge­bieter an und blieb seinen Anschauungen konsequent treu. Silviu wurde aus dem legi­timen Schlaf­zimmer ins Herren­zimmer evakuiert, und Jan nahm würdevoll seinen Platz als „Zukünftiger“ im Ehe­bett ein. Nuni war hierüber nicht verwundert oder gar böse, denn ihr gefiel immer das Außergewöhnliche. Sie verstand Lilly. Bobby akzeptierte interesse­los die Extra­vaganzen seiner Mutter. Die lukullischen Gerichte, die man schon zum Frühstück an das Bett des jungen Paares brachte, das grandiose Mittag­essen und das pikante Abend­brot ver­setzten Jan in gastro­nomi­sche Eu­pho­rie, da in Leipzig schon damals die Lebensmittel­sparmaßnahmen begonnen hatten. Halva sagte ihm am meisten zu, denn die hatte sein schwedi­scher Magen noch nicht gekannt. Auf täglichen Spazier­gängen zeigte Lilly ihm die kleine gemütliche Stadt Czerno­witz. Öfters arrangierte Lilly mit ihren musi­ka­li­schen Freunden Kammer­musik­abende. Das runde Schlaf­zimmer ver­wandel­te sich dann in einen kleinen Konzert­saal.

Tratsch, der un­ver­meid­liche Tratsch der Mieter und Nachbarn, flo­rierte natürlich durch die An­wesen­heit von Jan. Viele wollten ein „Happy-End“ erleben, andere der Tragödie bei­wohnen. So stellte man sich Fragen und tuschelte diskret – oder auch in­diskret – über diese Kuriositäten in der Familie Dimitro­vici. Eines Abends hielt Jan bei Silviu um Lillys Hand an. Auch materielle Angelegenheiten wurden be­sprochen, denn Lilly be­absich­tigte, in Stockholm zu wohnen, wo Jan als Organist engagiert werden würde. Silviu erklärte sich einverstanden, ihnen jeden Monat die Mieten ihrer Häuser zu überweisen.

Alle, außer Hozu und Poussi, lud Jan zur Hochzeit nach Schweden ein. Nuni konnte diese Reise kaum er­warten und bat Silviu, so schnell wie möglich die Scheidung einzu­reichen. Jan nahm seine Rolle als Bräuti­gam, baldiger Ehemann und ehrwürdiger Vater sehr ernst, denn fast an jedem Abend schlich er sich vor dem Schlafengehen in Nunis Zimmer, als sie schon im Bett lag, um ihr seinen väterlichen Gutenacht­kuss auf die Stirn zu drücken. Nach sechswöchigem „Familien­glück“ reiste das „Braut­paar“ wieder nach Leip­zig zurück.

Zer­knautscht und von Tränen durchnässt lag der Brief in Nunis Händen. Man hatte Coca zu „Waffenübungen“ ver­pflichtet, und er verließ sofort Czerno­witz. Kurz darauf die zweite ver­heerende Nach­richt von ihm. Er schrieb Nuni, dass er sie nie gegen den Willen ihres Vaters heiraten würde. Entrüstet las sie diese für sie so un­verständlichen Zeilen.

Schließlich könnte er sie doch einfach „rauben“, mit ihr fliehen, sie verführen und das ganze Leben in „wilder Ehe“ glücklich ver­bringen. Leider verstand Coca damals ihre emanzi­pierten Gedanken nicht und kapitulierte bedingungs­los vor seinem erbarmungs­losen Onkel und der bürgerlichen Moral.

Dieser hingegen begann als Bestätigung seiner verjüngten hormonellen Funktionen ein Abenteuer mit einer sehr mageren jungen Kellne­rin. Sie hieß Manon Caldare (zu deutsch: „Eimer“). Für sie be­stellte Silviu den besten Honig der Süd­bukowina, um ihre Dürre etwas auf­zu­runden. Doch leider half dieser Nektar nicht, und ihre Knochen klapperten munter in seinen Armen weiter, bis er sich schließlich daran gewöhnte. mmer häufiger war er nun abwesend von zuhause, und manchmal blieb er auch nachts aus. Durch dieses Verhalten enttäuschte er Hilde und Zenobia, die ihn für einen un­fehl­baren Familien­vater gehalten hatten.

Enttäuscht von der Liebe und den Familien­verhält­nissen begann Nuni ein noch intensiveres und selb­ständige­res Leben. Nur noch eine kurze Weile dachte sie mit Wehmut an Coca und spielte sich nicht als „Mater dolores“ auf. Ihre Über­zeugung, ihr Bewusst­sein sagte ihr, dass Coca ihre Liebe nicht wert gewesen sei.

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