Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Episode aus dem Roman „Genunea. Czerno­witz liegt nicht nur in der Buko­wina“

Die „Lilly-Bar“

Darstellung in den normalen Farben
Normal color display Dunklere Darstellung
Contrast color display Kontrastreiche Darstellung
Contrast color display
Zurück
Back Startseite
Home Textübersicht
Text overview Episodenübersicht
Episodes overview Text als PDF-Datei öffnen
Open text as PDF file

Vorige Episode
Previous episode Nächste Episode
Next episode



Kontakt
Contact us

Als Silviu 1928 zum General­direktor seines Betriebes, des griechsch-orthodoxen Religions­fonds’ in Czerno­witz, ernannt wurde, arran­gierte man zwei Fest­abende.

Die erste Feier bestand aus einem feinen Abend­essen, serviert von zwei mit Frack und weißen Baumwollhandschuhen gekleideten Kellnern. Der Erzbischof, Diplomingenieure und der Bürger­meister waren eingeladen. An diesem Protokoll­abend lang­weilte sich Lilly, obwohl sie immer im Mittel­punkt der Gesell­schaft stand und mit ihrem Charme und Humor alle Gäste unter­hielt. Doch es war der Abend der für sie un­interes­santen Figuren.

Für die zweite Feier dachte sich Lilly etwas Beson­deres aus. In ihrem kreis­runden Musik­schlafzimmer fühlte sie sich besonders wohl. Hier standen zwei schwere Messing­betten, zwei Nacht­schränkchen, eine kleine Biedermeier-Garnitur mit zwei gepolsterten gelben Sesseln, einem gelben Canapée und einem runden Tisch, und schließlich ragten links und rechts der Eingangs­tür zwei Flügel von „Bechstein“ und „Bösendorfer“ ins Zimmer. Eine acht­armige Kristall­lampe hellte die „Arena“ auf. Links öffnete sich die Tür zur freund­lichen Veranda mit ihren Garten­möbeln und vielen Pflanzen. Hier konnte Lilly ungestört ihrem musika­li­schen Talent nach­gehen, mit Freunden inte­res­sierte Dis­kus­sionen führen und viele Stunden in Ruhe schlafen.

Sie ließ nun dieses Zimmer völlig ausräumen. Sogar der runde, gelbe Perser­teppich, der sonst das Parkett bedeckte, wurde hinaus­getragen. Lilly hatte zwanzig kleine runde Tische bestellt, die nun rings­herum an die Wand gesetzt wurden. Auf jedes dieser Tische kamen ein Tele­fon und ein buntes Schirm­lämpchen, auf dem die jeweilige Ruf­nummer auf­leuchtete. Die Gäste saßen auf ge­polster­ten Hockern, und in der Mitte des Zimmers war ein Tanz­parkett arrangiert. Die Tür, die ins Speise­zimmer führte, war von einer dunkel­roten Samt­draperie mit goldenen Fransen bedeckt. Über der Tür sah man leuchtende farbige Birnen ange­bracht, die die Inschrift

Lilly-Bar

bildeten. Die Installa­tion dieser ausgefallenen Idee dauerte länger als eine Woche. Elek­triker und Tele­foni­stinnen mussten enga­giert werden. Doch dann konnte man von Tisch zu Tisch anrufen – um den nächsten Tanz bitten oder ungestört flirten. Das Grammo­phon sorgte für leidenschaft­liche Tangos und rhyth­mische Fox­trotts. Lilly trug ein Pariser Modell­kleid, lang, schwarz­geblümt, aus Seide mit einer breiten Schleife als Gürtel und mit einem be­stick­ten weißen Perl­kragen. Man machte Späße und tauschte allerhand lustige Erleb­nisse aus. Die Mehrzahl der Gäste waren Lillys Musik­freunde und kauzige Hochschul­professo­ren. Das kalte Buffet im Speise­zimmer bot eine große Auswahl­palette an kuli­na­ri­schen Raffi­nessen. Die Feier dauerte bis in den Morgen; nie­mand kam auf die Idee, nach Hause zu gehen.

Es war nicht üblich, der Gast­geberin Blumen zu bringen. Dafür hinter­ließen die Gäste beim Abschied Trinkgelder für das Personal, und nach einer Woche stattete man den „Verdauungs­besuch“ ab – wahr­scheinlich eine öster­reichi­sche Gewohnheit. Zwischen elf und zwölf Uhr vor­mittags fanden sich die Gäste mit einer Blume und ihrer Visiten­karte ein. Im all­gemeinen gaben die Gäste ihre Karte dem Stuben­mädchen Zenobia, die sie dann auf einem kleinen Silber­tablet­tchen der „Frau Doktor“ überreichte. Nur intime Freunde traten für fünf Minuten ein und be­dank­ten sich persönlich mit einem Hand­kuss für den schönen Abend.

Episodenübersicht
Episodes overview Vorige Episode · Previous episode Hinauf
Up Nächste Episode
Next episode