Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Episode aus dem Roman „Genunea. Czerno­witz liegt nicht nur in der Buko­wina“

Lilly. Geburt und Jugend

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1903 geschah das Erwünschte. Stefanie und Vasile wurden glückliche Eltern. Ihr Töchterchen Natalie, genannt „Lilly“, sah die ersten Lichtstrahlen. Nun wohnten drei Generationen zusammen. Die einzige Sorge war, Lilly zu erziehen – und öfters zu verziehen. Lilly war für alle der Sonnenstrahl. Man verwöhnte sie, wo es nur möglich war. Garderobe und Schminkzeuge bestellte man für sie aus den größten Häusern Wiens. Ihr Vater Vasile meinte einmal, dass er für seinen Engel auch den Mond herunterzaubern könnte.

Natalie („Lilly“) mit ihrer Großmutter
Maria Tomanek („Großmogulchen“)
(um 1908)

Panik brach aber in der Fami­lie aus, als sich Groß­vater Atanasie im hohen Alter in das junge Stuben­mädchen Anetta verliebte und mit ihr das Haus verließ. Doch das Leben ging weiter. Es voll­zog sich kultu­rell im großen Herren­zimmer in seinen bequemen Fau­tieulles. Dort las man die Geschichten und Gedichte von Stefanie, lauschte ihrem Klavier­spiel und bewun­derte ihre Aqua­relle. Groß­mutter Maria strickte Handschuhe und Socken für die ganze Familie. Viel­leicht wanderten ihre Gedanken auch öfters zurück zu der rau­schenden Ball­nacht, und sie strickte sie in die feinen Woll­maschen hinein. Miron, der Kater, spielte mit Lilly auf dem großen Teppich Katz und Maus. Vater Vasile wickelte in Gedanken Finanz­probleme ab. Mittlerweile war Lilly sechs Jahre alt geworden. Sie bekam Klavier­unterricht und bewies großes Talent. In der Volks­schule trat sie als „Wunderkind“ auf.

Zu Beginn des Ersten Welt­krieges 1914 ver­anstal­tete der Musik­verein Czerno­witz mit der elf­jährigen Lilly eine Reihe von Wohl­tätig­keits­konzerten. Ihre Mutter Stefanie arbei­tete Tag und Nacht: Ein großer Teil ihrer Ober­schule war in ein Lazarett um­ge­wandelt worden. Am Tage unter­rich­tete Stefanie ihre Schülerinnen, nachts pflegte sie die ver­wunde­ten Sol­daten. Sie musste sich außerdem mit Vor­urteilen aus­einander­setzen, die ihrer Ideo­logie und Menta­lität wider­strebten. Vero­nika, eine ihrer Schüle­rinnen, wohnte in einem Mädchen­internat. Ihre Eltern hatten einen Bauernhof unweit von Czerno­witz. Sie wurde mit 17 Jahren schwanger, gerade als sie vor dem Abitur stand. Das ganze Lehrer­kollegium war darüber so empört, dass man sofort ihren Aus­schluss aus der Schule forderte. Stefanie als Direktorin billigte das nicht. Sie erklärte ihren Kollegen, welche Tragödie die Entlassung für Veronika be­deutete. Das haltlose Mädchen könnte sich ja aus Verzweiflung in den Tod stürzen. Ein un­ehe­liches Kind würden ihre Eltern nie ak­zep­tieren.

Die bösen Geister aber ließen nicht locker. Es gab weder Verständnis noch Erbarmen. Der Sonderfall wurde an das Unterrichtsministerium nach Wien weiter­geleitet. Die Antwort war drastisch: Veronika wurde von der Schule ausgeschlossen. Stefanie nahm das Mädchen zu sich ins Haus, erteilte ihr Privatunterricht, und sie bestand das Abitur mit guten Noten. Nach drei Monaten kam auch das Baby. Es war wieder ein Mädchen. Als hervor­ragende Päda­gogin und Psycho­login taufte Stefanie das Mädchen wie ihre eigene Tochter „Lilly“. So lebten im Hause Turetzki/Jemna nun zwei Lillys. Stefanie fuhr zu Vero­ni­kas Eltern und erzählte ihnen die Geschichte. Ob aus Respekt für die Frau Direktorin oder aus Mensch­lich­keit – die Eltern zeigten Verständnis für ihre Tochter. Stefanie verhei­ratete die glück­liche Mutter mit einem anständigen Gärt­ner.

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