Genunea und Eberhard Musculus
Bild: Genunea Musculus

über Menschen und Tiere werde ich
Euch erzählen, die mir als
Persönlichkeiten begegnet sind...
Genunea Musculus

Diese Erzählung entstand in den 1980er Jahren.

Concessionen

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Das Reisen ist erholsam und bildend - aber kostspielig. Mit den ersten beiden Genüssen stellte ich mich zufrieden und wurde für diese sogar gut bezahlt - als Reiseleiterin in Berlin, „Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik“. Man engagierte mich sofort, als man erfuhr, dass ich rumänisch spreche, denn rumänische Dolmetscher waren, wie andere Erzeugnisse auch, Mangelware in der DDR. Das Deutsche Reisebüro belehrte mich fachgemäß, Broschüren und Hefte wurden mir ausgehändigt - Beschreibungen der Städte Berlin, Leipzig, Dresden, Weimar. Auch ihre Kulturträger Schadow, Langhans, Bach, Pöppelmann, Liszt, Goethe waren meine ständigen Begleiter.

Dann wollte man mich zu einem ideologischen Kursus heranziehen, um mir das politische Umdenken beizubringen, sozialistische Revolutionäre kennenzulernen und mir neue Wörter der kämpferisch-„sozialistischen“ Sprache anzueignen. Dieses Angebot lehnte ich ab, denn wir Rumänen halten mehr vom Tanzen, Lachen und von Liebe. Dennoch stellte man mich ein, und nolens volens wurde ich doch indoktriniert - Plakate mit weisen Sprüchen auf sozialistischen Wohnkomplexen, Demonstrationsplätzen, Kaufhäusern und öffentlichen Bedürfnisanstalten hoben mein „marxistisches Niveau“: „Für ewig verbunden mit der Sowjetunion!“, „Es Lebe die Freundschaft mit den benachbarten Bruderländern!“, „Tod dem Revanchismus und Imperialismus!“. In der Presse belustigten mich rebellische Worte wie: „Wettkampf der Arbeitskollektive“, „Klassenkampf“, „neuer Kampfgeist“, „Kampfdemonstration“ usw. usf. Durchdrungen mit diesem „sozialistischen“ Wortschatz begann ich meine fruchtbare Aktivität.

Die Reisegruppen holte ich vom Ostbahnhof zwischen 5.00 und 8.30 Uhr ab - je nach Verspätung des „Orient-Express“ aus Rumänien. Nach Hotelunterbringung und Auszahlung der Taschengelder unternahm ich mit den Gästen eine Stadtrundfahrt. Interessiert hörten sie meinen Erläuterungen zu. Spannend wurde es immer, als ich ihnen die Stadtgrenze zeigte - eine Trennung, die sie nur schwer verstanden. Einmal wurde die drückende Atmosphäre durch die geistreiche Frage eines Rumänen aufgelockert: „Wem gehören eigentlich die Möwen, die so frei über die Mauer fliegen dürfen - den Westmächten oder dem Warschauer Pakt?“ Spontan antwortete ich: „Sie wohnen sicher bei uns, weil hier die Mieten billiger sind. Ihre Nahrung aber holen sie bestimmt von drüben.“ „Schade, dass wir nicht auch Möwen sind.“, murmelten manche vor sich hin. Ost-Berlin gefiel meinen Landsleuten. Besonders ergötzten sie sich am Berliner Bier, und so verbrauchten sie ihre Taschengelder recht schnell.

Nach zwei Tagen verließen wir die „Hauptstadt“ und fuhren nach Leipzig, Weimar und Dresden. Langsam fasste die Gruppe Vertrauen zu mir und bat mich um Hilfe. Sie hatte mehrere Flaschen rumänischen Cognac mitgebracht, dreisternig, die beliebteste Marke der DDR-Bürger. Die lebenslustigen Rumänen verkauften ihn mit meiner Hilfe in Museen, Cafés und auf der Straße zu einem günstigeren Preis als im Handel. Anschließend erfuhr ich von ihnen, dass sie für das erworbene Geld BHs dringendst benötigen. Die DDR war das Land der BH-Angebote - mehrere Farben, alle Größen und günstige Preise. Um mein Erstaunen zu dämpfen, erklärten mir die Rumänen das folgende Phänomen: der Sozialismus kam auch in ihr Land mit seiner wohltuenden Befreiung der Arbeiterklasse von bürgerlichen Gütern und Luxusartikeln. BHs wurden weder erzeugt noch importiert, es hieß „Zurück zur Natur!“, die befreiten Brüste hingen und schaukelten den Parteigenossen lebhaft entgegen. Deshalb war eine neue sozialistische Währung entstanden - Cognac für BHs, BHs für Cognac. Der Kurs schwankte, wie an einer westlichen Devisenbörse, zwischen 1:3 und 1:4. Manchmal fand der Austausch direkt in den Wäschegeschäften statt - ein Liter Cognac für drei oder vier BHs. Beide Seiten profitierten voneinander und waren zufrieden. Die Planerfüllung zwischen den Brudervölkern vollzog sich ehrenvoll. Ich amüsierte mich köstlich, denn mein Wirken zwischen Kultur, An- und Verkauf füllten mich restlos aus. So profilierte ich mich zur perfekten Reiseleiterin und BH-Beraterin.

Angetrunken mit deutschem Bier und die Koffer voller BHs verließen die Rumänen zufrieden die DDR. Fast jeder von ihnen dankte mir für mein Verständnis und meine Hilfe mit einer Flasche Cognac. So verabschiedeten wir uns voneinander in Dresden, dem letzten Punkt im Reiseprogramm, nach zwölftägigem Aufenthalt.

Müde musste ich dann dort noch zwei Stunden verbringen, ehe der nächste Zug nach Berlin einfuhr. Einmal aber geschah etwas Unerwartetes. Auf dem anderen Bahngleis kam ein Zug an:

Wien - Berlin (über Berlin-Schönefeld) Für den Binnenverkehr gesperrt

Mit meinen schweren Koffer stieg ich gleich in die 1. Klasse ein. Nach wenigen Minuten öffnete ein Schaffner die Tür zu meinem Abteil. Böse und verwundert fragte er mich, wieso ich in diesen Zug eingestiegen war. „Ganz einfach, durch die Tür“, entgegnete ich energisch. „Lassen Sie die Witze, der Zug ist doch für den Binnenverkehr gesperrt, können Sie denn nicht lesen?“ „Doch,“ antwortete ich „eben deshalb stieg ich auch ein; ich besitze nämlich keine Bienen.“ Er sah mich verwundert an und mag sich gedacht haben 'Ist sie so blöd oder tut sie nur so?'. „Was sagen Sie da, sofort zahlen Sie eine Strafe. Hinauswerfen kann ich Sie nicht, da der Zug bis Schönefeld durchfährt.“ Er schrieb mir eine Strafquittung aus. Ich war empört - nicht über die Summe (eine schäbige Mark) - aber über seine Skepsis mir gegenüber. „Sie sind nicht im Recht. Ich bin ein anständiger Mensch und lüge nicht.“ Ich gab ihm die Mark. Dann öffnete ich spontan meinen Koffer und sagte: „Überzeugen Sie sich selbst - keine einzige Biene!“ Seine Augen wurden immer runder und größer beim Betrachten der vielen Cognac-Flaschen. „Keine Bienen, aber Cognac,“ lächelte ich zufrieden und überreichte ihm eine dreisternige Flasche. „Verdient haben Sie sie eigentlich nicht, doch großzügig wie ich bin...“ In Extase nahm er sie an sich und setzte sich mir gegenüber. „Woher kommen Sie und was sind Sie eigentlich?“, fragte er mich verunsichert. In zwei Worten erklärte ich ihm meine Identität, Nationalität und meinen Beruf. Nun wusste er Bescheid! Dann erzählte ihm, dass mich dieser Zug angenehm überrascht hatte. „Ein so eleganter Zug, ein so zivilisiertes Land, diese DDR! Man darf nicht mit Bienen reisen! Bei uns in Rumänien nämlich ist das Reisen mit Schweinen in der 1. Klasse strengstens verboten. Vor Abfahrt der Züge wird durch ein Mikrophon ausgerufen: 'Das Mitnehmen von Schweinen ist nur in der 2. Klasse gestattet. Wir wünschen eine angenehme Fahrt.' Viele Fahrgäste der 2. Klasse flüchten vor dem Geruch der lieben Tierchen sogar auf die Dächer ...“.

Der Schaffner nahm plötzlich seinen Kalender und fragte mich, wann ich wieder rumänische Touristen führen würde. Die Termine waren in meinem Kalender eingetragen. So vereinbarten wir die nächste Heimreise nach Berlin; er versprach mir, mich immer mitfahren zu lassen. Ich war glücklich, zwei Stunden früher nach Hause zu kommen und versicherte ihm, dass er zum Dank jedes Mal eine Flasche Cognac von mir erhalten werde. Mit einem freundschaftlichen Händedruck verabschiedeten wir uns.

In Berlin angekommen, berichtete ich mein abenteuerliches Erlebnis meinem Heinz. Ich versicherte ihm, dass ich das nächste Mal in Dresden getrost mit einem Ferkel in die 1. Klasse einsteigen dürfe, geschweige mit Bienen ... der brave Schaffner war doch zu sehr vom Cognac angetan. Wir fuhren tatsächlich noch drei oder vier Mal zusammen nach Berlin - dann verloren wir uns.

So endet meine wahre Geschichte; und wenn der Schaffner nicht gestorben ist, so gondelt er noch heute zwischen Wien und Berlin, jedoch ohne mich und ohne den dreisternigen Cognac, da wir beide uns ein paar Grad weiter westlich angesiedelt haben: mich erdrückten die „sozialistischen Errungenschaften“ - und der rumänische Cognac muss seinem Heimatland harte Devisen einbringen.



Die Moral: Eignet Euch nie zuviele Kenntnisse an. Hätte ich neben den politischen Parolen auch Fachausdrücke wie „Binnenverkehr“ gelernt, wäre diese Geschichte nicht entstanden - und Ihr hättet nicht so gelacht.

So aber verbleibe ich mit kämpferischen Grüßen
Eure Nunica



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